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Typenlehre ohne Sinn: Helen Fishers Liebestypen

Erstellt von r.ehlers am Dienstag 29. August 2017

Die Anthropologin Helen Fisher (2008)

Die von ihm selbst geschaffen Typenlehre jedes einzelnen Menschen

Jeder Mensch erbringt mit seinem Hineinfinden in seine Welt eine immense mentale Leistung. Das gilt insbesondere für einen erfolgreichen Umgang mit unseren Mitmenschen. Dabei ist es sehr  wichtig, gut und auch schnell abschätzen zu können, ob wir von der Begegnung mit Menschen profitieren oder Schaden nehmen sollten. Der Schlüssel für diese Urteile sind die von uns bei ihnen erkannten persönlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen. Nach diesen persönlichen Merkmalen und Gepflogenheiten stecken wir sie in von uns selbst bestimmte Kategorien.

Aus den vielen Erfahrungen mit unseren Mitmenschen entwickelt jeder Mensch so etwas wie ein höchst persönliches Ordnungssystem, indem er seine Kontaktpersonen kategorisiert bzw. in Schubladen ablegt. Dieses System nimmt unser ganzes Leben lang eine zentrale Rolle in unserem Denken und Fühlen ein. Es begleitet uns bei allen  Einschätzungen und Beurteilungen. Dieses von jedem Menschen selbst geschaffene Ordnungssystem ist für seinen sozialen Umgang mit anderen Menschen unverzichtbar. Ohne dass wir das so zu nennen pflegen, bauen wir so jeder für sich seine eigene sehr sinnvolle persönliche Typenlehre auf, an der er natürlich im Laufe seines Lebens arbeitet.

 

Althergebrachte Typenlehren

Die Menschen unabhängig von unseren höchst persönlichen Erfahrungen in ein übergreifendes System unterschiedlicher Kategorien einzuteilen, ist schon seit jeher ein beliebtes Spiel. Zur Bildung der Kategorien mussten in der Geschichte der Menschheit alle möglichen äußeren Gegebenheiten herhalten, angefangen von den verschiedenen Elementen in der Natur bis zu den Lichtpunkten im bewegten Kosmos.

Empedokles (495–435 v. Chr.) hielt Menschen für von den „Vier Elementen“ Feuer, Wasser, Erde und Luft geprägt Hippokrates (ca. 460–370 v. Chr.) unterschied die menschliche Physiologie und ihre Erkrankungen anhand mehrerer Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle, Wasser). Galen (2. Jh. n. Chr.) ordnete den vier Säften vier Temperamente bzw. Charaktere zu. Der große Aristoteles (384–322 v. Chr.) suchte die charakterlichen Besonderheiten in der Blutbeschaffenheit (warm, kalt, trocken oder nass). Er sah einen ewigen alles Sein durchdringenden Äther als fünftes das Wesen der Menschen bestimmendes Element. Bestimmt hatte er noch nicht an die universale dunkle Energie gedacht, von deren Existenz wir wissen, aber nicht wissen, was sie tut. Von diesen alten Lehren hat bis heute nichts überdauert.

Ohne jemandem weh zu tun kann man heute offen sagen, dass die alten Typenlehren einfach keinen Sinn machen. Anders ist das mit der noch älteren Astrologie, die die von der Astronomie gewählte Einteilung des Jahres nach Tierkreiszeichen für eine Typologie von zwölf unterschiedlichen Menschentypen nutzt, wobei Tag und Zeit der Geburt und die Konstellation anderer Himmelskörper (Aszendenten) zusätzlich das Wesen des Menschen bestimmen, was sogar per Horoskop einen individuellen Blick in die Zukunft erlauben soll. Wenn man in der Gesamtheit  offen erklärt, dass man in der Astrologie einfach keinen Sinn sehen kann, regt sich auch in unserer aufgeklärten Zeit noch viel Widerspruch. Aber was soll`s, was man glauben will, muss ja nicht vernünftig sein.

Auch die alte ayurvedische Vorstellung von der Festlegung des menschlichen Charakters durch unterschiedliche Lebensenergie (Dosha), nämlich Vata (=unstetig), Pitta (=exzessiv) und Kapha (=langsam) hat noch viele Anhänger, wohl wegen heilsamer ayurvedischer Anwendungen und Praktiken auch im Westen. Tatsächlich ist aber auch die Wesensbestimmung des Menschen nach der Art seiner Lebensenergie eine eigenwillige und durch nichts belegte Lehre.

 

Typenlehren der Neuzeit

Die neuzeitliche Psychologie hat ausgehend von C.G.Jung (1875 – 1961) ihre eigenen  Anknüpfungspunkte für die Typisierung von Menschen gefunden. Seine Unterteilung der Menschen in Introvertierte und Extrovertierte, je nachdem ob sie der Welt offen oder verschlossen gegenübertreten, ist Teil unseres allgemeinen Denkens geworden. Diese Differenzierung nennt Jung Einstellungstypen. Sie scheint mir ziemlich klar zu sein, ist aber noch so grob, dass ihr Wert nur begrenzt sein kann. Daneben nimmt Jung die Unterscheidung in vier weitere Typen vor, die er als Bewusstseinsfunktionen betrachtet. Diese sind Denken, Fühlen, Empfinden und „Intuieren“. Jung unterscheidet nach Einstellungstyp und der Bewusstseinsfunktion, d. h. es gibt beispielsweise den introvertierten Fühltyp, den extrovertierten intuitiven Typ, usw. Somit kann man also acht Typen unterscheiden. Die Anbindung an die zu jedem Menschen gehörenden Bewusstseinsfunktionen scheint mir aber recht willkürlich zu sein.

Einen Sonderfall bildet die von Ernst Kretschmer (1888-1964) begründete physische Konstitutionslehre, die vier Körperbautypen auseinanderhält und ihnen ganz bestimmte Charaktereigenschaften zuordnet :

Pykniker  sind vom Körper her rund und breit, vom Charakter her zyklothym, d.h. extrovertiert, gesellig, aber Gefühlsschwankungen unterworfen, in der Krankheit manisch-depressiv

Athletiker sind körperlich knochig und muskulös, vom Charakter her aufbrausend, explosiv, in der Krankheit zur Epilepsie neigend

Leptosome sind körperlich lang und schmal, vom Charakter her introvertiert, abweisend, misstrauisch, in der Krankheit schizophren

Ergänzend zählen manche noch die lebenssprühenden Sanguiniker hinzu. In der Anamnese von psychischen Krankheiten mögen solche Unterscheidungen einen Sinn haben. Für die allgemeine wesensmäßige Einteilung der Menschen macht diese Typologie dagegen keinen Sinn. In der Rassenlehre des Dritten Reiches spielte sie eine unrühmliche Rolle.

 

Topaktuell: Einteilung nach Kriterien aus der Hirnforschung

Der amerikanische Hirnforscher Ned Herrmann (1922–1999) ist der Begründer des Vier-Quadranten-Modells. Jeder der vier Bereiche des Gehirns (cerebral, limbisch, rechte und linke Hemisphäre) stehe für einen anderen Persönlichkeitstypus. Alle diese Bereiche sind indessen für jeden Menschen existenziell bedeutsam. Wer einen Bereich wie z.B. den frontalen Cortex des Gehirns besonders intensiv nutzt, wird sich in seinem Empfinden und Verhalten stärker an den vom Vorderhirn zu erledigenden Aufgaben orientieren als beispielsweise an der emotionalen Steuerung durch das Limbische System. Wie man  aus dieser simplen Erkenntnis aber nennbaren Gewinn für eine Einteilung von Charakteren treffen will, ist mir unerfindlich.

 

Helen Fishers Liebestypen

Die amerikanische Anthropologin Helen Fisher (*1945) hat über ihre Bücher und über das Internet für ihre Vorstellung von vier verschiedenen Liebestypen mehr als 14 Millionen „Follower“ gewonnen. Sehen Sie bei Interesse nur einmal unter ihrem Namen bei Wikipedia hinein oder hören sich im Netz einmal einen ihrer Vorträge an (auf Englisch). Auch in Deutschland haben Presse und Fernsehen (selbst Lesch’s Kosmos) ihre Thesen aufgegriffen und reichlich unkritisch verbreitet.

Fisher knüpft auch an die Ergebnisse der Hirnforschung an und legt die Probanden ins MRT, um zu sehen, welche Hirnareale bei Vorzeigen besonderer Bilder jeweils tätig sind. Sie ordnet die Menschen aber ein nach der Verfügung über vier verschiedene Transmitter, denen sie die Menschentypen zuordnet.

Im Buch „Die vier Typen der Liebe“ , s. https://www.droemer-knaur.de/pdfs/ebook/LP_978-3-426-40178-1.pdf, erklärt sie die Unterscheide zwischen Gründern, Entdeckern, Wegbereitern und Diplomaten S.17 f.). Wörtlich (Hervorhebungen von mir):

Die Biologie unserer Persönlichkeit

Dopamin. Ich begann mit diesem Neurotransmitter, weil ich die Funktionsweise dieses starken und allgegenwärtigen Botenstoffs im Gehirn mehrere Jahre lang erforscht hatte. Aufs Geratewohl listete ich eine Reihe von Persönlichkeitsmerkmalen auf, von denen ich wusste, dass sie durch Gene aus dem Dopaminsystem geprägt wurden: die Neigung, den Reiz des Neuen zu suchen, Risikobereitschaft, Spontaneität, hohes Energieniveau, Neugier, Kreativität, Optimismus, Begeisterungsfähigkeit, Flexibilität. Ich beschloss, Männer und Frauen, die vorzugsweise diese Persönlichkeitsmerkmale aufwiesen, »Entdecker« zu nennen. Patrick hatte, wie ich bald bemerkte, viel von diesem Typus.

Dann nahm ich ein weiteres leeres Blatt zur Hand. Was wusste ich noch über die Entstehung der Persönlichkeit? Nun, Menschen, die mit bestimmten Genen im Serotoninsystem zur Welt kommen, sind gewöhnlich ruhig, sozial eingestellt, umsichtig, ohne ängstlich zu sein, beständig, loyal, ordnungsliebend. Sie schätzen feste Regeln und Fakten und neigen zur Bewahrung von Traditionen. Sie sind konventionell. Da solche Männer und Frauen einiges Geschick im Aufbau sozialer Netze und eine Menge sozialer Kompetenzen besitzen (weshalb meist sie es sind, die sich um die menschliche Seite der Familie und des Geschäfts kümmern), habe ich sie die »Gründer« genannt.

Ich hatte mich auch mit dem Hormon Testosteron beschäftigt. Obwohl Testosteron in der Regel mit männlichen Attributen assoziiert wird, können sowohl Männer als auch Frauen eine besonders starke Aktivität in diesem neurochemischen System aufweisen. Menschen, die mit dieser biochemischen Prägung zur Welt kommen, sind üblicherweise direkt, entscheidungsfreudig, konzentriert, analytisch, logisch, durchsetzungsfähig, anspruchsvoll, emotional zurückhaltend und gut im strategischen Denken. Sie sind unübertroffen, wenn es um das Entwerfen von Maschinen, die Anwendung mathematischer Formeln und dergleichen geht. Viele haben auch besondere Fähigkeiten, was das strukturelle Verständnis von Musik angeht. Diese Menschen nannte ich die »Wegbereiter«.

Ganz am Ende meiner Bestandsaufnahme standen jene Persönlichkeitsmerkmale, die mit dem Hormon Östrogen in Verbindung stehen. Frauen und Männer mit hohem Östrogenspiegel neigen dazu, das große Ganze in den Blick zu nehmen: Sie können ganzheitlich denken, so dass es ihnen leichtfällt, die abseitigsten Fakten zu einem sinnvollen Ganzen zu verbinden. Ihnen ist das eigen, was man vernetztes Denken nennt. Sie haben eine unglaubliche Phantasie, zeigen hohe sprachliche Fähigkeiten und sind genial, wenn es darum geht, Gesten, Körperhaltung, Mimik und Stimmlage anderer Menschen zu deuten. Sie verfügen über »praktische soziale Fähigkeiten«. Sie haben eine starke Intuition, können sich gut in andere Menschen hineinversetzen, übernehmen Verantwortung, zeigen sich flexibel, freundlich, idealistisch und mitfühlend. Sie können ihre Gefühle gut ausdrücken. Daher habe ich diese recht breite Gruppe von Menschen die »Diplomaten« genannt.

Natürlich spielen auch andere chemische Stoffe bei der Herausbildung unserer Persönlichkeit eine Rolle. Jeder von uns produziert mehr als hundert verschiedene Typen von Neurotransmittern. In unserem Gehirn finden sich etwa fünfzig verschiedene Formen von Peptiden, also Eiweißbausteinen. Die meisten von ihnen sorgen dafür, dass unser Herz nicht zu schlagen aufhört, und regeln andere lebenswichtige Funktionen. Doch gerade bei der Herausbildung der Persönlichkeit spielen die vier genannten Stoffe – Dopamin, Serotonin, Testosteron und Östrogen – eine herausragende Rolle. Aber es gibt noch zwei andere, die wir hier erwähnen wollen: Norepinephrin, ein dem Dopamin verwandter Botenstoff, der verschiedene Persönlichkeitsmerkmale des »Entdeckers« beeinflusst, vor allem Eigenschaften wie Energiereichtum und Impulsivität. Und Oxytocin – ein Hormon, dessen Wirkung durch Östrogene verstärkt wird – ist vermutlich an der Neigung des »Diplomaten« zu Einfühlung, Hinwendung, Vertrauen und Intuition beteiligt. Es sind also bestimmte Gruppen chemischer Stoffe, die zur Ausbildung des Entdecker-, Gründer-, Wegbereiter- und Diplomatentypus führen. Dabei ist die Funktion des einzelnen chemischen Stoffes von geringerer Bedeutung als das jeweilige Mengenverhältnis und die Interaktionen, die sie mit anderen Stoffen sowie anderen neurochemischen Systemen eingehen. Trotzdem werden nur Dopamin, Serotonin, Testosteron und Östrogen direkt mit der Ausbildung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale in Verbindung gebracht. Die oben skizzierten grundlegenden Verhaltens- und Denkmuster fußen also auf der Mischung dieser vier chemischen Stoffe.

Fisher will dann durch Beobachtung festgestellt haben, dass sich ihre Diplomaten untereinander gut verstehen, auch Gründer und Wegbereiter untereinander, Wegbereiter aber eher mit Diplomaten. Also gilt nur in manchen Fällen, dass gleich und gleich sich gern gesellen und sich Gegensätze anziehen. Sowohl die Auswahl der Typen wie auch die Beurteilung der angeblich besten Konstellationen überzeugt nicht, zumal es keine konkreten Belege gibt. Es gibt aber auch keine Hinweise darauf, dass Menschen mit unterschiedlichen Transmittersystemen geboren werden. Dies ist eine freie Behauptung Fishers, die zu gern verbreitet, dass sie die Transmitter gründlich erforscht hätte – aber nicht wirklich Sinnvolles über ihre Entstehung und Ausschüttung sagen kann. sagen kann.

Mit ihrer Typologie der Liebe mögen sich Heiratsinstitute befassen und damit Geld verdienen. Mit Wissenschaft hat sie jedenfalls nichts zu tun.