Richtig Essen

GfE- Gesellschaft für richtiges Essen und Lebensgestaltung e.V.

Fleisch aus der Retorte

Erstellt von r.ehlers am Samstag 15. Oktober 2016

Goldmann Verlag, 22,99 €

Ganz neu ist das am 17.10.2016 herauskommende Buch des bedeutenden Vertreters der modernen Philosophie, Professor Dr. Richard David Precht, mit dem er der menschlichen Gewohnheit, Tiere zu essen, auf den Grund geht und zum Schluss kommt, dass sich das moralisch nicht verantworten lässt.

Der Verlag kündigt das Buch wie folgt an:

„Wie sollen wir mit Tieren umgehen? Wir lieben und wir hassen, wir verzärteln und wir essen sie. Doch ist unser Umgang mit Tieren richtig und moralisch vertretbar? Richard David Precht untersucht mit Scharfsinn, Witz und Kenntnisreichtum quer durch alle Disziplinen die Strukturen unserer Denkmodelle. Ist der Mensch nicht auch ein Tier – und was trennt ihn dann von anderen Tieren? Welche Konsequenzen hat das für uns? Precht schlägt einen großen Bogen von der Evolution und Verhaltensforschung über Religion und Philosophie bis zur Rechtsprechung und zu unserem Verhalten im Alltag. Dürfen wir Tiere jagen und essen, sie in Käfige sperren und für Experimente benutzen? Am Ende dieses Streifzugs steht eine aufrüttelnde Bilanz. Ein Buch, das uns dazu anregt, Tiere neu zu denken und unser Verhalten zu ändern!“

Precht übersieht nicht, dass jede ethische Fragestellung und aus ihren Ergebnissen agbeleitete Moral fragwürdig ist. Die Grenzen des Menschen sind zum einen die der beschränkten Möglichkeit, die Welt so zu erkennen, wie sie womöglich wirklich ist. Man denke z.B. an Platons Höhlengleichnis. Wir haben aber auch nicht die Möglichkeit, sicher festzustellen, wie wir uns in der Welt verhalten sollen. Es gibt daher a limine keine zuverläsigen Aussagen darüber, wie wir unseren tierischen Mitgeschöpfen auf der Erde begegnen sollen.

Dennoch ist es richtig, dass Precht uns allen den Spiegel vorhält. Denn im Sinne einer praktischen Lebensgestaltung liegt es an uns, uns nicht widersprüchlich oder gar unsinnig zu verhalten. Wenn sich das Thema der Rechte von Tieren daher schon nicht „sub spezie aeternitatis“ abklären lässt, dann ist es doch angebracht, unser Verhalten anhand der von uns selbst anerkannten Regeln zu messen.

Rechte von Tieren stehen nur im Gesetz

Oberste Norm unter den Tiere betreffenen Vorschriften nächst der Inkriminierung der  Tierquälerei ist es, Tiere ihrer Natur entsprechend, also „tiergerecht“ oder „artgerecht“ zu halten. Wenn man aber mal ein entsprechendes Anliegen vor unsere Gerichte bringt, muss man gerade in den Fragen der Tierhaltung feststellen, dass man vor Gericht nicht unbedingt Recht erhält, sondern nur ein Urteil.

Mir ging es als ganz jungem Anwalt so, als ich bis vor das Oberlandesgericht in Hamm zog, um die Bestrafung eines Massen-Hühnerhalters zu erzwingen, der seine Tausende von Hühnern in so engen Käfigen hielt, dass jedes gerade mal eine DIN-A-4 große Fläche für sich selbst hatte. Das war Ende der 60er Jahre. Bis heute ist die Fläche je Huhn nur unwesentlich größer geworden. Davon, dass solche Tiere auch ein Gemüt und Gefühle haben, brauchte ich damals überhaupt nicht zu reden. Unsere Gesellschaft lebt vom Massentierhalter über die Verbraucher bis zu den Behörden und den Gerichten und dem Gesetzgeber mit der Lüge, dass die Massentierhaltung in gleich welcher Form tiergerecht wäre.

Precht zeigt eingehend, dass sich jeder von uns und unsere ganze Gesellschaft damit ins eigene Fleisch  schneidet. Man denke nur an den Umstand, dass 50 % aller Agrarflächen der Welt für die Erzeugung von Tierfutter genutzt werden, die extreme Gülledüngung der Böden und den Einsatz der Antibiotika.

Tiere zu jagen und tiergerecht gehaltene Zuchttiere zu töten ist eine andere Sache

Precht meint, dass der Mensch nicht zum Jäger geboren sei. Unanbhängig davon, dass es sekundär ist, ob wir von der Evolution her zu den Raubtieren, Pflanzen- oder Allesfressern zu zählen sind, ist es eine Tatsache, dass wir – wie viele andere Primaten auch – tierisches Fleisch durchaus in unserer Ernährung nutzen können. Die Kritik an der jämmerlichen Schlechtbehandlung der Millionen von Zuchttieren kann daher nicht einfach auf den Jäger übertragen werden, der zur Wahrung des Gleichgewichts in der Natur im Forst Pflanzenfresser schießt und ihr Fleisch auf den Markt bringt. Auch ist es nicht richtig, das Unwerturteil auch über einen Bauern zu fällen, der seine Zuchttiere tatsächlich angemessen hält und ihnen nach einer allerdings nicht zu kurzen Lebensspanne schmerzlos das Leben nimmt, damit die Konsumenten wie gewohnt Fleisch essen können.

Das Ende der Massentierhaltung bedeutet zweifellos eine Erhöhung der Fleischpreise und eine Verringerung des Fleischkonsums. Das allerdings ist ungemein wertvoll, weil wir in Deutschland und in der ganzen westlichen Welt etwa dreimal so viel Fleisch essen wie es gesundheitlich überhaupt zuträglich ist. Selbst wenn mal kaum oder gar kein Fleisch da wäre, wäre das nch besser als der heutige Zustand des großen Überflusses. Die wachsende Zahl der Veganer zeigt, dass einem bei gut ausgwählter Pflanzenkost nichts fehlen muss. Anders ist das nur bei Veganern, die nicht auf die ausreichende Versorgung mit der großen Zahl der Vitalstoffe achten.

Fleisch aus der Retorte ist aber langfristig keine Lösung des Problems

Precht zeigt einen Ausweg aus der ganzen Problematik mit dem Hinweis auf die künstliche Herstellung von tierischem Fleisch in der Retorte. Sozusagen als Keim für ein gutes Stück Fleisch nimmt man nur ein paar gesunde Zellen eines lebenden Tieres und lässt diese unter Zufuhr aller bekannten Inhaltsstoffe des Fleischs zum großen Fleischbrocken anwachsen, aus dem man dann seine Steaks schneiden kann. Wie praktisch: Klonsteak statt Fleisch von Klontieren! Auch Frankenstein lässt grüßen.

Nach dem Analogkäse hat aber auch solches Analogfleisch,  auch Faserfleisch genannt, nicht denselben nutritiven Wert wie das eigentliche Produkt. Tiere nehmen über die von ihnen verzehrten Pflanzen neben den bekannten Grundstoffen zur Energierezeugung (Kohlenhydrate, Fette und Proteine), Mineralstoffen und Spurenelementen auch eine Vielzahl von Nebenstoffen auf, die wir noch gar nicht alle kennen. Wir wissen auch noch lange nicht, wie sich alle diese Stoffe, die sich im Wuchs des normalen Fleischs zusammengefunden haben, miteinander oder getrennt im menschlichen Metabolismus verhalten. Ob das Kunstfleisch also ebenso bioverfügbar ist wie im Tier gewahsenes Fleisch, ist zweifelhaft.

Die Erfahrung mit Analogkäse und anderen künstlich hergestellten Lebensmitteln lässt keine große Hoffnung zu, dass in absehbarer Zeit „richtiges“ Fleisch kopiert werden könnte.

Bild: fitterinsleben.de