Richtig Essen

GfE- Gesellschaft für richtiges Essen und Lebensgestaltung e.V.

Falsche Paradigmen bei der richtigen Ernährung

Erstellt von r.ehlers am Samstag 15. März 2014

Was ist ein Paradigma? Das Wort stammt vom griechischen parádeigma. Es setzt sich zusammen aus den Wörtern pará (= neben) und  deiknymi (= begreifbar machen). Grob gesagt ist ein Paradigma die Festlegung auf eine bestimmte Anschauungsweise. Erweit sich eine solche Sichtweise als falsch, braucht man einen Paradigmenwechsel.

In die Wissenschaften brachte der große deutsche Naturwissenschaftler und Literat Georg Christian Lichtenberg (1742 – 1799 ) den Begriff Paradigma ein zur Kennzeichnung einer wissenschaftlichen Denkweise oder einer Weltanschauung.

Allgemeine Verbrietung fand der Begriff aber erst im letzten Jahrhundert durch den Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn (1922 – 1996) .  Er nennt als besondere begriffsbildende Merkmale:

  • das, was beobachtet und überprüft wird
  • die Art der Fragen, welche in Bezug auf ein Thema gestellt werden und die geprüft werden sollen
  • wie diese Fragen gestellt werden sollen
  • wie die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Kuhn meint mit Paradigma also ein vorherrschende Denkmuster in einer bestimmten Zeit. Paradigmen spiegeln einen gewissen allgemein anerkannten Konsens über Annahmen und Vorstellungen wider, nach dem in einem Themenbereich üblicherweise die Fragen gestellt, die Untersuchungen angestellt und die Schlussfolgerungen gezogen werden.

Wenn man die Dinge so aufbröselt, wird einem da nicht klar, dass Paradigma und Vorurteil ganz dicht beieinander liegen? AlsoVorsicht mit Paradigmen. Sie geben zwar das Beste wider, worauf man sich zu einer Zeit verständigt hat, erweisen sich aber doch immer wieder mal als grundfalsch.

Ich werde nachfolgend das verbreiteste von den paradigmatischen falschen Vorurteilen in den Fragen der richtigen Ernährung aufzeigen. Sie werden vermutlich gleich erkennen, dass Sie wie  fast die ganze Wissenschaft und die allgemeine Öffentlichkeit vollständig von dieser tief verinnerlichten Fehlvorstellung durchdrungen sind.

Ein radikaler Fehler ist die Annahme, dass alle Erfordernisse an eine der Gesundheit förderliche Ernährung durch die mengenmäßig ausreichende Aufnahme der in den von uns verzehrten Lebensmitteln enthaltenen Mikronährstoffen erfüllt werden.

Also zählen wir in Gedanken nicht nur die Kalorien, sondern auch die mit der Nahrung in den Körper kommenden weiteren Inhaltsstoffe wie die verschiedenen Kohlenhydrate, Fette, Aminosäuren, Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und andere sekundäre Inhaltsstoffe nach. Wir folgen dabei den Moden, die von der Werbung und der Fachpresse erzeugt werden. Mal muss es Vitamin B 12, sein, dann Magnesium, dann L-Carnitin oder OPC, usw.. Dabei sind sie in aller Regel sämtlich ausreichend in einer gut zusammengestellten „normalen“ Auswahl von Lebensmitteln enthalten! Aber wenn auf einer Packung drauf steht, dass sich besonders viel Vitamin E befindet, will das der Kunde haben, weil er unterstellt, dass es ihm gut tun könnte. Warum erwähnt man es sonst?

Sehen Sie sich doch einmal in einem typischen deutschen Lebensmittelmarkt um. Sehen Sie sich auch einmal das Riesenangebot  an Lebensmitteln in den Reformhäusern und Bioläden an.  Warum nur gibt es so wahnsinnig viele verschiedene Lebensmittelangebote?  Selbst Aldi und Lidl, die aus Kostengründen auf die Bedürfnisse nur der Durchscnittskunden sezten, haben schon rd. 700 verschiedene Lebensmittelprodukte im Angebot. Märkte wie REWE oder EDEKA haben viele Tausende mehr. Nach einer aktuellen Studie (DGAP) werden in Deutschland allein an spezifisch für Kinder gedachten Lebnsmitteln zwischen 500 – 1.500 verschiendene Produkte angeboten – durchweg völlig ungesunde Zuckersachen.

Die SAVE FOOD Studie des Verpackungsmittelherstellers Cofreso von 2011 hält fest:

  • Mehr als 20 Prozent der erworbenen Lebensmittel landen auf dem Müll.
  • Von diesen 20 Prozent könnten durchschnittlich mehr als 50 Prozent vor der Entsorgung bewahrt werden. Mit anderen Worten: Bei besserer Planung und Aufbewahrung hätten diese Lebensmittel verzehrt werden können und wären somit dem Abfall entgangen.
  • Circa 30 Prozent aller verpackten Lebensmittel werden ungeöffnet und gänzlich unberührt weggeworfen.
  • Obst und Gemüse machen mit 50 Prozent größten Teil an weggeworfenen Lebensmitteln aus. An zweiter Stelle liegen Reste selbstgekochter Mahlzeiten oder von Fertiggerichten.

Wo es eine solch irrsinnige Auswahl an Lebensmitteln gibt und die Branche boomt wie keine zweite, liegt natürlich ein Bedarf nach solcher Vielfalt zugrunde. Die Gesetze der Werbung bedingen es, dass immer neue Produkte in die Läden kommen. Das Publikum ist längst so erzogen, dass es daran glaubt, dass es ständig neue gesundheitsfördernde Produkte gäbe, wenn nicht aus unserer eigenen Region dann eben vom Ende der Welt, wo es angeblich ganz besonders wertvolle Lebensmittel mit ungeahnten gesundheitlichen Wirkungen gibt. Früher war es kennzeichnend für den Menschen, dass er sich an seine Umgebung anpasste und in ihr suchte, was er für seine Versorgung brauchte. Heute vergessen wir unser altes Wissen und setzten darauf, dass uns immer neue Produkte mit immer besseren gesundheitlichen Wirkungen angeboten werden.

Heimisches Obst und Gemüse allein tun es nach der tief sitzenden Vorstellung der Konsumenten nicht. Die Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln greifen diese Welle auch noch auf, indem sie auf den hier und da tatsächlich zu findenden besonderen Inhaltsreichtum mancher exotischer Lebensmittel verweisen. Aber muss es wirklich die Gojibeere sein, reicht nicht die Stachelbeere?  Unsere eigenen Produkte sind in ihrem vollen nutritiven Wert ja selbst noch kaum erkannt.

MIt dieser Kritik an der Bevorzugung exotischer Lebensmittel will ich nicht gegen ihre Nutzung überhaupt  reden. Sie sind ja immerhin interessant und lassen sich geschmackvoll gut  in unsere Esenspläne einbauen. Falsch ist nur die Vorstellung, dass sie in auch nur einer einzigen Beziehung unverzichtbar wären. Beispielsweise bin ich ein großer Freund von Moringa, einer tropischen Baumart, deren essbare Blätter und Früchte einen unerhört hohen Anteil an Vitamin C haben. Wenn ich aber kein Moringa kriege, esse ich ein wenig Sanddorn oder Hagebutte  mehr, und habe dasselbe Ergebnis! Wer weiß noch, dass die Buche früher ein Speisebaum war und ihre zarten jungen Blätter als Delkatesse aufs Brot gelegt wurden (Esslaub)?

Mit den heutigen technischen Möglichkeiten können wir uns auch den großen Wert vieler anderer Bäume,  Kräuter und Sträucher besser aneignen als je zuvor. Früher warennur die weichen jungen Blättee und Triebe nutzbar. Heute macht uns sein kleiner Mixer auch härtere reife Blätter, Stängel, Wurzeln und Rinden verfügbar. Aber wir sind als Gesellschaft so dumm, dass wir nicht einmal wüssten, wie wir bequem im blattreichen Urwald überleben könnten.  Wir lassen es auch zu, dass jährlich viele Millionen Menschen auf der Erde verhungern. Die Wälder, die alle ernähren könnten, holzen wir immer mehr ab.

Ein zweiter großer Fehler ist, dass wir glauben, dass es mit der akribischen Sicherstellung der Versorgung mit allen im Körper benötigten Mikronährstoffen getan sei, ist die Vernachlässigung der Wirkungen der Kombination dieser einzelnen Bestandteile im Zusamenhang mit ihre Entstehung beim Aufwuchs.  Man spricht da neuerdigs von der Lebensmittelmatrix.

Es ist ein Irrweg, Lebensmittel nur als Summe der einzelnen Nährstoffe zu betrachten.In einer Vielzahl von Fällen wissen wir heute, dassein einzelnes Lebenmittel mehr ist als die Summe seiner Teile. „Ballaststoffe und Vollkorn, Apfelextrakt und Äpfel, Kalzium und Milch – wann immer ein vermeintlicher Nahrungswirkstoff isoliert verabreicht wurde, entpuppte er sich in Studien an Menschen bestenfalls als wirkungslos – im Gegensatz zum ursprünglichen Lebensmittel“ schreibt die Expertin Kathrin Zinkant in der „Zeit“ (http://www.zeit.de/zeit-wissen/2008/04/Ernaehrung-Teil-2) und nennt reihenweise weitere Beispiele.

Der dritter schwere Fehler in der heutigen allgmeinen Sicht auf die richtige Ernährung liegt, wie ich auf dieser Plattform bereits vielfach ausgeführt habe, darin, dass wir unsere Esskultur aufgegeben haben. Wir haben es verlernt, den Zeitfaktor bei der Nahrungsaufnahme, die Einhaltung von festen Essenszeiten, die Essenspausen, die Notwendigkeit, die rohe Nahrung  tatsächlich bis in ihre letzten Zellen aufzubrechen und die Phase des leeren Magens durch rohe, fein vermahlene Pflanzenkost zu nutzen.

In all diesen Fragen ist ein Paradigmenwechsel dringend geboten. Genau genommen geht es nicht einmal darum, ausschließlich Neuland zu betreten. Wenn wir nur wieder so essen, wie wir es vor der unmäßigen Ausweitung der Angebote an Lebensmittelprodukten und der damit korrespondierenen nachlässigen Essweise getam haben,  „ist der Krieg schon gewonnen.“ Am Anfang steht die Aufgabe der häuslichen Gartenkultur mit der Nutzung selbst gezogenen Obsts und Gemüses durch praktisch jedermann. International wachsen inzwischen die Bemühungen, selbst in Großstädten wie in New York  wieder Nutzgärten anzulegen, teilweise – wie in Barcelona – aus der durch die neue Armut aufgekommene schiere Not. Wir werden die Uhr da nicht mehr ganz zurückdrehen können, müssen aber lernen, frische oder gut konservierte Nahrung zu bevorzugen und dem Essen wieder seine Zeit zu lassen.