Richtig Essen

GfE- Gesellschaft für richtiges Essen und Lebensgestaltung e.V.

Kurzsichtigkeit: Ist Lesen schlecht für die Augen?

Erstellt von r.ehlers am Montag 4. Juli 2016

Alle unsere Sinne sind wichtig. Wer nicht hören kann, fühlt sich von der Welt ausgeschlossen. Fällt der Tastsinn aus, fühlt man sich gelähmt. Wer nicht mehr schmecken und riechen kann, findet nicht nur sein Essen fad. Aber der Hauptsinn des Menschen ist das Sehen, das uns in jeder Sekunde eine Überfülle an Informationen aus der Außenwelt zeigt. Wir sind eben „Augenmenschen.“ Parallel zur Lieferung der Bildinformationen vom Auge über den Sehnerv ins Sehzentrum werden zudem über das Auge Außenreize ins Mittelhirn übertragen, wo unsere  Gemütswelt verwaltet wird und unsere Einbindung in den Tages- und Nachtrhythmus geschieht (s.  http://www.essenspausen.com/licht-ist-leben/).

Kurzsichtigkeit

Bild: http://www.sehtestbilder.de/was-ist-kurzsichtigkeit.php

Gesunde Augen liefern auf der Netzhaut des Auges ein gestochen scharfes Bild der Außenwelt. Mit dem Licht dringen durch Hornhaut, Iris (Regenbogenhaut), Linse und Glaskörper alle Bildinformationen auf die in der der Augenöffnung ganz gegenüber liegenden Netzhaut befindlichen  Stäbchen (Helligkeit) und Zäpfchen (Farbe). Zu einer exakten Bildwiedergabe muss das durch die Augenlinse gebrochene Licht mit seinem Fokus genau auf die Netzhaut treffen.

Kurzsichtigkeit ist eine schwere gesundheitliche Störung

Liegt der Fokus vor der Netzhaut statt auf ihr, ist das eine gesundheitliche Störung von erheblicher Bedeutung: Der Mensch ist kurzsichtig, er leidet unter Myopie. Das bedeutet, dass sich über die noch im Glaskörper zusammentreffenden Lichtstrahlen nur eine verschwommene Reflexion des ankommenden Bildes auf der Netzhaut bewirken. Das wirkt sich besonders stark aus auf das Sehen weiter entfernt liegender Objekte. Nur was dicht vor dem Auge liegt, ist mit seinen wichtigsten Details auszumachen. Das Auge wird bei diesem Sehen aber zu sehr beansprucht, beginnt bald zu schmerzen und ermüdet. Für den Urmenschen, der zur Jagd ging und selbst Sorge tragen musste, dass er nicht das Opfer von Beutegreifern wurde, war die Kurzsichtigkeit sicher lebensbedrohlich.

Aber auch für den modernen Menschen ist Kurzsichtigkeit eine schwere Behinderung, indem sie das für die visuelle Aufnahme sprachlicher Inhalte unverzichtbare Lesen stark erschwert und langes Lesen sogar unmöglich macht. In unserem Gesundheitswesen wird die Kurzsichtigkeit seltsamerweise nicht als krankhafte Abweichung von der Norm, als Krankheit oder als gesundheitliche Störung angesehen – vorausgesetzt, dass man die Möglichkeit hat, durch das Tragen von Brillen oder Kontaktlinsen den Fokus künstlich auf die Netzhaut zu lenken. Die Medizin spricht da von der einfachen Myopie (Myopia simplex), bei der das Auge mit der einen Ausnahme, dass es etwas zu lang ist, völlig normal sei. Die Kurzsichtigkeit sei sowohl genetisch bedingt wie durch eine Reihe von Umgebungsfaktoren verursacht, zu denen intensive und lang anhaltende Arbeit im Nahbereich des Auges zählen. Die Medizin nennt daher die meist vorkommende einfache Kurzsichtigkeit eine bloße „Aberration niedriger Ordnung (Defocus)“, aber keine Krankheit. Die Myopia simplex sei eben nur eine besondere physiologische, nicht krankhafte  Form  der Kurzsichtigkeit.

Ganz augenscheinlich ist diese Einordnung aber die reine Augenwischerei. Damit soll nur verschleiert werden, dass die gesetzlichen deutschen Krankenkassen ihren Mitgliedern ab der Vollendung des 18.Lebensjahrtes zu Unrecht die Übernahme der Kosten für diese notwendigen optischen Hilfsmittel verwehren.  

 

Ursächliche Behandlung einiger besonderer Krankheitsformen

Es gibt die durch lange falsche Einstellung des Blutzuckerspiegels erzeugte Kurzsichtigkeit, der man durch bessere Kontrolle des Glukosewertes im Blut begegnen kann.

Ferner gibt es krankhafte Veränderungen im Makulabereich der Netzhaut, die beim länglich deformierten größer sind als sonst. Ich kann die Annahme  vieler Experten gut nachvollziehen, dass solche Schäden bis hin zur Netzhautablösung auf Mängel in der Versorgung mit Vitalstoffen zurückzuführen sind.

Zu einer Kurzsichtigkeit möglicherweise ganz anderer Art kommt es durch Krämpfe im Ziliarmuskel, der die Linse „akommodiert“, d.h. die Brechung des Lichts durch die Linse bestimmt. Exzessive Akkomodation, z.B. beim Lesen, Lernen und Arbeiten am Bildschirm  führt zu Sehstörungen, die subjektiv denen der üblichen Myopie entsprechen. Man spricht bei dieser mehr funktionalen Kurzsichtigkeit von einer Pseudomyopia. Es ist einzusehen, dass ihre Korrektur nicht mit Brille und Kontaktlinse zu beheben ist.

Noch nicht hinreichend erklärbar ist die sog. Nachtkurzsichtigkeit, bei der sich bei für eine Fokussierung nicht ausreichendem Kontrast des ankommenden Bildes die neuronale Verarbeitung streikt.

Der Graue Star kann mit der Veränderung des Brechungsindexes eine sog. Linsenmyopie hervorrufen, die eine Katarakt-OP nötig macht.

 

Schadet Lesen den Augen?

In der Print-Ausgabe der „Zeit“ vom 26.5.2016 las ich in einem Beitrag von Astrid Viciano mit dem Titel Kurzsichtigkeit: Kind, verdirb‘ dir nicht die Augen“ über Untersuchungen in vielen Ländern über die Verbreitung der Kurzsichtigkeit.

Kurzsichtigkeit nimmt danach überall in der Welt und auch in allen Altersgruppen stark zu, ganz besonders aber bei Schülern. Die „Zeit“ hat Professor Dr. Wolf Lagrèze, Leiter der Sektion Neuroophthalmologie, Kinderophthalmologie und Schielbehandlung am Uni-Klinikum Freiburg nach seinen Schlussfolgerungen aus diesen Studien befragt.

Lagrèze meint, dass die rapide Zunahme der Kurzsichtigkeit in wenigen Generationen eindeutig gegen den alleinigen Einfluss der Erbanlagen spräche. Er meint, dass die wichtigste nicht genetische Ursache auf der Hand läge:

Wer viel liest, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit kurzsichtig.

Ist Ihnen im Vorfeld der Fußballeuropameisterschaft 2016 einmal aufgefallen, wie klug neuerdings der kluge Abwehrspieler Jerome Boateng mit seiner großen Brille aussieht? Er spielt nicht nur klug, sondern ist auch ein kluger Geschäftsmann, der sein eigenes Brillendesign verkauft. So etwas fällt auf, weil man allgemein bei Fußballern nicht darauf achtet, ob sie literat sind.

Bild: promiflash.de

Früher kursierte das dumme Vorurteil: „Mein letzter Wille – eine Frau mit Brille!“ Frauen mussten nicht klug sein. Wer den Haushalt versorgte und  Kinder großzog, braucht nicht zu lesen und war daher auch selten kurzsichtig.

Eine Studie aus Singapur hat festgestellt, dass eine „deutliche Zunahme“ der Kurzsichtigkeit schon festzustellen sei, wenn Kinder „mehr als zwei Bücher in der Woche“ lesen. Eine Befragung von fast 5.000 Probanden in Mainz  ergab, dass die Hälfte der Menschen mit Abitur an Kurzsichtigkeit litten, bei denen mit Hauptschulabschluss nur 25 %. Nach Lagrèze hat „sicher“ der Leistungsdruck an den Schulen damit zu tun, „vor allem in den asiatischen Ländern.“

Wie berichtet, empfiehlt das Ministerium für Erziehung in Taiwan längere Leseabstände zum Buch (mind. 30 cm), größer formatierte Bildschirme und lange Lesepausen.

Grundsätzlich sollten Eltern ihre Kinder ruhig lesen oder vor dem Bildschirm sitzen lassen – unter einer Voraussetzung: Die Kinder sollten zum Ausgleich viel Zeit im Freien verbringen.

Angeblich hat sich „in mehr als 20 Studien“ gezeigt, dass vor allem die Menge an Tageslicht darüber entscheidet, ob eine Kurzsichtigkeit entsteht.   „Je mehr sich ein Kind im Tageslicht aufhält, desto höher ist der Dopaminspiegel in seiner Netzhaut“, erklärt Lagrèze. Der körpereigene Botenstoff hindere das Auge auf noch unbekanntem Wege daran, in die Länge zu wachsen. Eine Studie im Fachblatt Jama ergab lt. Lagrèze jüngst, dass nur täglich 40 Minuten im Freien das Risiko für eine Kurzsichtigkeit um fast ein Viertel reduzieren könnten. Besonders ausgeprägt sei der positive Effekt, wenn die Kinder mehr als zwei Stunden pro Tag draußen spielten.

Mir scheinen die Ergebnisse der Studien richtig zu sein, wenn sie auch kaum etwas beweisen. Es ist nicht gut, sich zu wenig zu bewegen, das ist doch ohnehin bekannt.  Es bedarf auch keiner Untersuchung zu wissen, dass intensive ausdauernde Belastungen einen nachteiligen Einfluss auf die Wahrnehmung ausüben können. Den fundamentalen Unterschied und auch den möglichen Zusammenhang zwischen Überlastung des Auges  (Pseudomyopie) und der Entstehung krankhafter Kurzsichtigkeit findet man im Studiendesign aber gar nicht. Daher weiß ich auch nach so vielen Studienbemühungen nichts darüber zu sagen, ob wir uns bzw. unseren Kindern   durch vieles Lesen einen dauerhaften Augenschaden zufügen.

Immerhin ist klar, dass –wie beim Essen – auch beim Lesen und dem Sitzen vor dem Bildschirms die Einhaltung von Pausen angesagt ist.