Richtig Essen

GfE- Gesellschaft für richtiges Essen und Lebensgestaltung e.V.

Haben wir drei Gehirne?

Erstellt von r.ehlers am Sonntag 2. Februar 2014

Weil es mit sehr viel mit dem Verständnis der Verstoffwechslung  unserer Nahrung zu tun hat,  die Einfluss auf unser Essverhalten nehmen kann, ist es von Interesse zu begreifen, was sich neurologisch  durch die Essensaufnahme im menschlichen Körper tut.

Seit einigen Jahren verbreitet sich sowohl bei Experten aus vielen medizinischen Fachrichtungen, in der alternativen Medizin und bei der Bevölkerung die Vorstellung aus, dass wir außer dem Gehirn im Kopf, dem Zentralnervösen System (ZNS),  noch ein Gehirn im Bauch hätten – das Bauchgehirn. Nicht genug, jetzt hört man davon, dass wir noch über ein weiteres, ein drittes Gehirn verfügten – die“ intelligente Darmflora“.  

-de.wikipedia.org-

1 = Magen
2 = Dünndarm
5 = Wurmfortsatz
4 = aufsteigender Teil des Dickdarms
3 = absteigender Teil des Dickdarms
6 = Mastdarm
7 = After

Mit der Vorstellung dieses dritten in uns tätigen Gehirns kommt die Vorstellung auf, dass der Mensch mit seinem Verstand zum Ersten,  mit seinem großen Nervengeflacht im Verdauungsapparat (Bauchgehirn) zum Zweiten und in der Symbiose mit den seinem Darm besiedelnden Aberbillionen von Bakterien zum Dritten, also mit eigenständigen Lebewesen, die lebenswichtige Vorgänge steuern, eine Einheit bilde, die eine Art Dreieinigkeit darstelle. Wenn wir von „ich“ redeten, beträfe das immer die Einheit aus allen drei Gehirnen. Jeder Mensch ist danach nicht einer, sondern mehrere in einer Gestalt- ein wenig wie die extraterrestrischen „Borg“ im Raumfahrt-Dauerbrenner „Voyager.“

Die Vorstellung vom dritten Gehirn soll umso leichter zu verstehen sein, als unsere Körper nichts anderes sind als ein Konstrukt aus Bakterien. All die auf bis zu 100 Billiarden  an der Zahl geschätzten Zellen des menschlichen Körpers sind ja Bakterien mit Namen Eukaryoten, die sich in der Evolution komplexerer Gestalten eine noch um das tausendfach größere Zahl anderer Bakterien, der Prokaryoten,  geschnappt haben, die dann als Mitochondrien fleißig unter Verwendung von Sauerstoff aus dem Blut und den Bestandteilen unserer Nahrung  unsere Bewegungsenergie Adenosintriphosphat (ATP) aufbauen. Prokaryoten sind einfacher aufgebaut als die Eukaryoten, sie haben nämlich keinen eigenen Zellkern.

Bevor Sie die Übersicht über die Zahl der beteiligten Bakterien verlieren, liste ich sie einmal auf. Grob geschätzt befinden sich in uns rund:

  •  100 Billionen eukaryotische Körperzellen
  • 100 Billiarden Mitochondrien
  • 100 Billionen Darmbakterien (allein im Dünndarm 1,5 kg)

Auf der Ebene der menschlichen Konversation ist es üblich zu sagen, dass einem etwas ans Herz ginge oder dass man sagt, dass man eine Vorahnung hätte, die man Bauchgefühl nennt. Unangenehme Dinge können uns ja auch ganz realauf den Magen gehen. Damit ist normalerweise aber nicht der Anspruch verbunden, dass man wisse, dass unsere Seele im Herzen und der Sitz unseres Gefühlslebens im Darm lägen. Es ist zudem nicht richtig, dass solche Gefühle aus dem Körper kämen und im Kopfhirn bewusst würden.  Nur die nervlichen Reizauslöser kommen aus dem Körper. Erst durch ihre Verarbeitung im Gehirn unter Einsatz der dortigen Botenstoffe entstehen doch die Gefühle.

Um zu beurteilen, ob wir ein, zwei oder gar drei Gehirne haben, ist es sicher gut einmal danach zu fragen, was denn überhaupt ein Gehirn ausmacht.

 

-de.wikipedia.org-

Übersicht über das menschliche ZNS (2), das aus Gehirn (1) und Rückenmark (3) besteht

Da es niemanden gibt, der gesetzlich definiert, welches die definitiven Bestandteile eines Gehirns sind, bleiben uns nur die unter uns Menschen anerkannte Sprache und die Sprachlogik, um den Menschen wie weiland Luther „aufs Maul zu schauen“, um festzustellen, das dort gilt. Die Allgemeinsprache und die Fachsprachen können da unterschieden sein.

Bei der Suche stellt man bald fest, dass wir eigentlich unter Gehirn (=zentralnervösen System [ZNS]) dasselbe verstehen. Ich gehe mal von der Darlegung im Internetlexikon Wikipedia unter dem Stichwort ZNS aus:

„Das Zentralnervensystem (auch zentrales Nervensystem, ZNS oder CNS von englisch nervous system) ist ein Teilsystem des Nervensystems. Die Abgrenzung vom, peripheren Nervensystem ist willkürlich, funktionell sind beide Anteile des Nervensystems eng miteinander verflochten. Bei Wirbeltieren bilden Gehirn un d Rückenmark das zentrale Nervensystem. Strukturen und Steuerungen des ZNS werden als zentralnervös bezeichnet. Das ZNS erfüllt in einem komplexeren Lebewesen verschiedene Aufgaben:

  • Integration aller sensiblen Reize, die ihm von innerhalb oder außerhalb des Organismus zugeleitet werden (sogenannte Afferenzen),
  • Koordination sämtlicher motorischer Eigenleistungen des Gesamtorganismus
  • Regulation aller dabei ablaufenden innerorganismischen Abstimmungsvorgänge zwischen den organismischen Subsystemen oder Organen, einschließlich solcher humoraler und insbesondere hormoneller Art.

(Das ZNS) trägt infolge seiner zentralen Stellung neben der innerorganismischen Selbstregulation automatisch auch zur Aufrechterhaltung der Funktionalität des Gesamtorganismus in Relation zu organismisch relevanten Bedingungen in seiner Umgebung oder Umwelt (…) bei.“

Ich denke, dass diese Definition dem tatsächlichen Beurteilungsstand in den naturwissenschaftlichen Fachsprachen wir auch der Allgemeinsprache entspricht – allerdings bis auf einen beträchtlichen Fehler. Es ist falsch, dass ein Gehirn alle sensiblen Reize, sämtliche motorische Eigenleistungen des Gesamtorganismus und die Regulation aller dabei ablaufenden innerorganismischen relevanten Bedingungen erfüllen müsse.

Wenn, wie bei allen höheren Lebewesen dezentral im Körper Nervenreize wahrgenommen und lokal ohne Befassung des Gehirns beantwortet werden, heißt das nicht, dass die damit befassten Nervensysteme selbst Gehirne darstellten.  Wenn einem Huhn der Kopf abgeschlagen wird und es dennoch eine lange Strecke fliegend zurücklegen kann, verdankt es diese Leistung Nervenknoten, die den Flugvorgang autonom steuern.  Gehirne haben eine vielfach höhere Komplexität und sind in ihrer Aufgabenstellung  nicht auf einen Satz einzelner Abläufe beschränkt.

Wenn man das anders sieht kommt man begrifflich zu einer Inflation der Gehirne.

Im Kampf um die Geltungshoheit von Sprachbegriffen ist es natürlich legitim, neue Begriffe oder Begriffsinhalte für den künftigen Sprachgebrauch vorzuschlagen. Solange es da aber noch eine Einigkeit gegeben hat, ist die Verwendung der neuen Vorstellung aber einfach falsch.

Im Ergebnis bedeutet das, dass wir ein einziges Gehirn haben, aber eine Reihe autonomer und halbautonomer Nervengeflechte.

Fazit: Ein Bauchgehirn haben wir nicht, noch viel weniger ein weiteres Gehirn aus angeblich intelligenten (?) Darmbakterien.