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Burnout, Managerkrankheit, Neurasthenie – alles nur Depression?

Erstellt von r.ehlers am Freitag 24. Januar 2014

Neurasthenie – was ist denn das, werden Sie fragen. Das ist doch ein überholter medizinischer Begriff, oder? Und von der Managerkrankheit, die  von den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts bis gegen Ende der Siebziger in aller Munde war, spricht auch kein Mensch mehr. Der Begriff unserer Zeit ist das Burnout-Syndrom, um nicht gleich von einem Modebegriff zu sprechen.

 

George Cheyne –de.wikipedia.org-

Sich von den Krankheitserscheinungen einen Begriff zu machen, ist keine müßige Spielerei. Gerade psychische Störungen versteht und behandelt man besser, wenn man berücksichtigt, wie sie von der Umgebung der Betroffenen und der Allgemeinheit beurteilt werden.

Der Burnout wird heute – im Ergebnis ganz richtig – als unverschuldetes Schicksal angesehen, weshalb ja auch Prominente keine Probleme damit haben, sich damit bzw. der damit verbundenen Depression zu „outen“, s. http://www.essenspausen.com/prominente-in-depression-und-burnout/. Beim Burnout wird den Einflüssen von außen, besonders den Arbeitsbedingungen ein wesentlicher Anteil am Entstehen der Krankheit  zugesprochen. Das löst bei den Mitmenschen Mitleid und Hilfsangebote aus.

Die Neurasthenie hatte dagegen einen schlechten Ruf und war besonders um die Jahrhundertwende 1900 ein großes Tabu, weil die Betroffenen vorgeblich von minderer biologischer oder moralischer Verfassung waren („reizbare Schwäche“).

Dabei waren die frühen Erkenntnisse über die Herkunft der Neurasthenie viel differenzierter. Sie klingen selbst heute noch höchst modern. Diese ersten historischen Erklärungen stammen von dem bahnbrechenden schottischen Arzt und Vorläufer der Psychologie George Cheyne  (1671-1743). Dieser im berühmten Badeort Bath in England praktizierende Arzt war übrigens einer der ersten modernen Verfechter des Vegetarismus. Er beklagte die Reizüberflutung im Alltagsleben, sowohl  beruflich wie privat, das Übermaß an Genüssen und Zerstreuungen und die Hektik und Unrast in den Städten. Er sah sich mit seinem großen Übergewicht selbst als ein Opfer seiner unruhigen Zeit.  Dagegen stellte er das Hirtenleben, die Landpartie, die Jagd, das Fischen und Reiten, die körperliche Gymnastik und den Englischen Garten. Hinzu kamen Milchkuren und andere naturgemäße Diäten.  Wenn das nicht noch heute modern ist!  An ihm lag es jedenfalls nicht, dass die Neurasthenie ein Jahrhundert später als eine geradezu peinliche Krankheit angesehen wurde, war sie doch nach Cheyne nur ein Ausfluss von Wohlstand und Überfluss. Damals war es üblich, Krankheiten ein ausländisches Etikett anzuheften. So war die Syphilis die „Französische Krankheit.“ Cheyne kam solcher Namensgebung aus dem Ausland zuvor, indem er die bei einem Drittes seiner Patienten gefunden  krankhafte Nervosität die Englische Krankheit nannte.  Daraus entsprang die  landläufige Bezeichnung „American Nervousness“  und schließlich  1869 die erste medizinische Erwähnung des Krankheitsnamens Neurasthenie (George Miller Beard).

Die ersten Erwähnungen der Managerkrankheit  brachten zunächst eine Einengung des Kreises der Betroffenen  auf die den Unternehmen dienenden Funktionäre, die im Gegensatz zu den Besitzern, die mit ihrem Vermögen machen konnten, was sie wollten, unter einem ganz besonderen Druck standen. Das Wort Manager kam  in Deutschland erst nach dem II. Weltkrieg auf. Mitte der 40er Jahre hatte der amerikanische Soziologe James Bingham ihn mit seinem Buch „Das Regime der Manager“ populär gemacht. Seine Definition wurde Allgemeingut: „Betriebsleiter, Produktionsleiter, Werkführer und deren Mitarbeiter, die den eigentlichen Produktionsprozess bestimmen, Rohstoffe, Werkzeuge, Maschinen, Fabrikanlagen, Ausrüstungen und Arbeitskräfte so organisieren, daß schließlich Automobile produziert werden – diese Personen nenne ich Manager.“ Ende 1952, als das deutsche Wirtschaftswunder erste Höhen erklommen hatte, schrieb das Deutsche Industrie-Institut an seine Mitglieder: „Über Nacht hat sich ein neuer Alpdruck auf verantwortliche Männer und Stellen gelegt. Das Schlagwort von Krankheit und Frühtod des unternehmenden Menschen geht um.“

John Steinbeck schrieb damals: „Die Managerkrankheit ist eine Epidemie, die durch den Uhrzeiger hervorgerufen und durch den Terminkalender übertragen wird.“ Aber bald begriff man, dass die Ausbeutung der Arbeitskraft bei den Leitungsebenen der Unternehmungen nicht Halt machte. Es gab auch Untergebene, die nur unter Druck arbeiten konnten. Spätestens mit der Präkarisierung der Arbeitsplätze (Agenda 2010, Hartz IV) ist jedem Beobachter der Szene klar, dass die weisungsuntergebenen Mitarbeiter Schritt für Schritt unter noch größeren Stress gesetzt wurden. Aber noch bevor diese politische Entwicklung sich stark durchgesetzt hatte, diagnostizierten die Mediziner die Managerkrankheit bei Fließbandarbeitern, Ärzten, Lehrern und selbst Hausfrauen.

Auch wenn aus der Neurasthenie erst für die Gruppe der Manager die Mangerkrankheit ausgesondert wurde und diese Krankheit dann doch wieder für jedermann da war, kehrte die Neurasthenie, die von der amtlichen Diagnoseklassifikation der WHO weiter registriert ist, in den Sprachgebrauch nicht zurück und auch kaum in die ärztliche Praxis.

Auf das Burnout-Syndrom kam die Menschheit aber nicht von einem Tag auf den anderen.  Der Schriftsteller Graham Greene förderte die Akzeptanz des Begriffes mit seinem Buch „A Burnt –Out Case aus dem Jahre 1960, in dem er den beruflichen Ausstieg eines desillusionierten Architekten verfolgte.  Dem folgte die Wissenschaft mit explorativen Studien  mit Betroffenen im Gesundheitswesen (Ärzten, Pflegern), die einfach überfordert worden waren.  1974 erst erklärte der deutsch-amerikanische Psychologe Herbert Freudenberger eine erste Theorie der Dimensionen dieser angeblich neuen Krankheit. Nach seinen Forschungen gehören dazu

  1. eine überwältigende Erschöpfung (overwhelming exhaustion) durch fehlende emotionale und physische Ressourcen (Energien) als persönlicher Aspekt,
  2. Gefühle des Zynismus und der Distanziertheit (detachment) von der beruflichen Aufgabe (job) als zwischenmenschlicher Aspekt und
  3. ein Gefühl der Wirkungslosigkeit (inefficacy – wegen mangelnder Ressourcen) und verminderter Leistungsfähigkeit als Aspekt der Selbstbewertung (Selbstbild).

Ich habe den Eindruck, dass es nur die Anschaulichkeit  des „Ausbrennens“ ist, die den Wechsel von der Managerkrankheit zur Begrifflichkeit des Burnouts verursacht hat. Ebenso konnte sich zuvor der Begriff der Krankheit der fleißigen Manager leicht gegen den negativ besetzten Begriff der Neurasthenie durchsetzen. Inhaltlich hat sich kaum etwas geändert

Schon um 1700 bei George Cheyne ging es um den auf den Menschen unablässig von allen Seiten von außen einwirkenden Stress, der den Menschen nervlich schwächte, ihn sich hilflos und ausgeliefert fühlen lässt. Am Ende sehen sie keinen Sinn mehr in dem was sie und andere tun und denken zwanghaft an die Selbsttötung.

Ob diese Symptome wirklich die Krankheit selber sind, ist mehr als fraglich. Das Schema, die Symptome zur eigentlichen Krankheit zu erklären, kann man mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehen. Genau so geht ja auch die Deutsche Schmerzgesellschaft vor. Wo die Entstehung von Schmerzen nicht zu begreifen ist, erklärt sie den Schmerz selbst als die Krankheit, s. http://www.essenspausen.com/schmerz-ist-keine-krankheit-und-kennt-kein-heilmittel/. Weil praktisch alle Therapeuten davon ausgehen, dass die Depression der regelmäßige Begleiter des Burnouts ist, führt die falsche Nomenklatur im Ergebnis aber zu keinem Schaden.

Ähnlich mag es liegen beim sog. CFS (Chronic  Fatigue Syndrome),  zu Deutsch dem Chronischen Erschöpfungssyndrom. Dort werden neben großer Müdigkeit insbesondere beobachtet  eine lähmende geistige und körperliche Erschöpfung sowie besondere weitere Symptome wie Schmerzen an Kopf und Gliedern,  Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und schlechter Schlaf.  Bei jeder Krankheit gibt es eine Reihe zusätzlicher individueller Symptome, ohne dass es gerechtfertigt ist, für jede Abweichung gleich eine neue Krankheit zu definieren. Wichtiger ist es, die eigentliche Störung zu finden, den Grund der Krankheit (Ätiologie), um ihr gezielt entgegenwirken zu können – natürlich vorweg im Interesse der Vorbeugung.

 

Ist also Burnout eine Managerkrankheit?

Sehr interessant ist in meinen Augen, wie sich einer der besten deutschen Depressions-Ärzte, Professor Detlef  E. Dietrich, Ärztlicher Direktor des Ameos Klinikums in Hildesheim,  im Interview um die klare Beantwortung dieser Frage herumdrückt, s. http://www.lifeline.de/themenspecials/burnout/ist-burnout-eine-managerkrankheit-id90181.html.

Hier das Interview:

Lifeline: Wie lässt sich in diesem Zusammenhang der Begriff Burnout einordnen? Ist Burnout eine Umschreibung für Depressionen?

Professor D. E. Dietrich: Betroffenen fällt es oft leichter, von Burnout zu sprechen. Tatsächlich haben wahrscheinlich etwa 80 Prozent der Patienten mit einer Burnout-Diagnose eigentlich Depressionen mit einem zeitlichen Bezug zu ausgeprägten Belastungen. Der entscheidende Unterschied ist der Schweregrad. Bei den häufig leichteren Burnout-Symptomen ist es wichtig, rechtzeitig gegenzusteuern und sein Verhalten zu ändern. Depressionen muss man in der Regel gezielt behandeln.

Lifeline: Ist Burnout eine Managerkrankheit?

Professor D. E. Dietrich: Es trifft insbesondere Menschen, die sehr gewissenhaft und leistungsbereit sind. Sie haben hohe Ansprüche an sich, ihnen fällt es schwer, Nein zu sagen. Es gibt aber auch sehr viele Landfrauen mit diesen Symptomen: Sie arbeiten im Betrieb mit, erziehen die Kinder, sind ehrenamtlich tätig und versorgen häufig noch pflegebedürftige Eltern oder Großeltern. Arbeitslose haben ebenfalls ein größeres Risiko, psychisch zu erkranken. Eine Arbeit, die Spaß macht und weder über- noch unterfordert, kann das beste Antidepressivum sein.

Lifeline: Die Krankenkassen haben in den vergangenen Jahren in Studien belegt, dass immer mehr Menschen wegen psychischer Krankheiten lange am Arbeitsplatz fehlen. Werden Depressionen heute besser diagnostiziert als früher?

Professor D. E. Dietrich: Ja, aber letztlich noch viel zu selten. Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Depressionen, nur etwa zehn Prozent von ihnen werden langfristig betrachtet adäquat behandelt. Teilweise erkennen sie selbst oder auch Hausärzte nicht, dass hinter körperlichen Beschwerden wie Rückenschmerzen eine psychische Erkrankung steckt. Wichtig ist, dass Angehörige und Freunde aufhorchen, wenn jemand über typische Symptome wie Schlafstörungen, niedergedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, Energiemangel, verminderten Antrieb, Ängste oder innere Unruhe klagt. Es gehört zu der Krankheit, dass die Betroffenen aus eigenem Antrieb oft keine Therapie beginnen.

Ende des Interviews.

Nachdem so viel geklärt ist über die begrifflich richtige Einordnung von Depression Erschöpfung  und den Gefühlen von Mutlosigkeit, Sinnlosigkeit  und fehlendem Lebensmut, frage ich Sie, lieber Leser:

Hat sich im Verständnis der Entstehung dieser Störungen und der richtigen Antwort darauf  mehr als 300 Jahre nach den Erkenntnissen von George Cheyne denn Wesentliches geändert?

Auch heute stehen auf der einen Seite die Reizüberflutung im Alltagsleben, sowohl  beruflich wie privat, das Übermaß an Genüssen und Zerstreuungen und die Hektik und Unrast überall.  Auch heute noch bleibt nur die Besinnung auf unsere die naturgegebenen Bedürfnisse, allem voran die ihnen gerecht werdende  Ernährung einschließlich der richtigen Art und Weise und der Zeit ihrer Aufnahme.