Richtig Essen

GfE- Gesellschaft für richtiges Essen und Lebensgestaltung e.V.

Sucht – schwere Bedrohung für Jeden

Erstellt von r.ehlers am Freitag 6. April 2012

Sachbezug: Körpergewicht + Allg. Gesundheitsfragen

Opium -de. wikipedia.org –

1.Alte und neue Suchtprobleme in unserer Gesellschaft

Die Anfeindungen durch Sucht bleiben kaum einem Menschen in seinem Leben erspart. Zu den altbekannten Suchtproblemen sind in unserer Zeit einige erschreckende neue gekommen. Daher lade ich Sie ein, sich hier über einige wichtige Aspekte dieses Themas zu informieren, auch soweit sie über die Probleme der sog. Fettsucht hinausgehen.
Sprachverwirrung über den Begriff der Sucht

Wenn nach Sucht gefragt wird, denkt jeder sofort an die an Suchtmittel gebundenen Süchte wie Drogensucht, Alkoholismus, Nikotinsucht und Medikamentensucht. Beim weiteren Nachdenken fallen uns aber endlos viele Verhaltensweisen ein, die wir auch eine Sucht nennen, z.B. Eifersucht, Spielsucht, Fettsucht, Arbeitssucht, Sexsucht, Putzsucht, Erlebnissucht und Machtsucht. Natürlich kennen wir alle auch die Krankheit Gelbsucht, die aber nicht so recht in das Bedeutungsmuster der anderen Begriffe zu passen scheint. Gleiches gilt für die nicht mehr gebräuchlichen Begriffe Schwindsucht, Wassersucht, Tobsucht und Fallsucht. Dass das Wort Sucht nicht von suchen kommt, sondern von siechen (engl. sick), zeigt, dass es ursprünglich ein Synonym für Krankheiten war. Daher versteht sich auch noch die Mondsucht als krankhafter Drang im Mondschein zu wandeln. Die Grundvorstellung war die, dass der schwache Mensch einer übermächtigen Krankheit verfiel.
Heute ist ein Sprachbegriff in allgemeiner Geltung, den ich so wiedergeben möchte:

»Sucht ist ein schwer abweisbarer immer wiederkehrender Drang nach dem Erleben bestimmter Zustände und Abläufe, dem bewusste und unbewusste rationale Widerstände und emotionale Wertvorstellungen geopfert werden«.

Mächtige, oft vordergründige, innere Strebungen siegen dabei über das positive bessere Wissen wie auch das bessere innere Gefühl der Richtigkeit und über tief innewohnende Werteinschätzungen. Weitgehend meint man, dass zur Sucht auch gehöre, dass sie der Herausbildung der Persönlichkeit des Menschen und seiner sozialen Integration im Wege stünde. Das aber sind erst häufige Folgen und keine notwendigen Merkmale des Begriffs. Auch wenn jemand beispielsweise regelmäßig sehr viel Alkohol trinkt und damit seine Leber schädigt oder wenn er Kette raucht und seine Lebensspanne damit um 10 – 15 Jahre verkürzt, handelt er unter einem dauerhaft unabweisbaren Drang, die psychischen Wirkungen des Alkoholkonsums oder der Nikotinaufnahme zu erleben – und kann doch sozial noch lange Zeit ausreichend integriert sein. Das gilt auch für putzsüchtige Menschen, für Eifersüchtige und Machtsüchtige, deren unvernünftiges Verhalten meist von der Umgebung ein wenig abgefangen wird (Beispiel: Co-Alkoholiker).

Der hier genannte allgemeine Sprachbegriff der Sucht geht mit der Anknüpfung an die rationale Steuerung des menschlichen Verhaltens über die ursprüngliche Wortbedeutung des Verfallens an ein krankhaftes  Geschehen weit hinaus. Mit der Macht der Hormone treibt uns nämlich die Natur selbst in unvernünftige Verhaltensweisen. Bestes Beispiel ist die Anregung des Hungergefühls durch den Rückzug des Esskontrollhormons Serotonin und gleichzeitiger Ausschüttung des appetitfördernden Hormons Ghrelin. Das Ergebnis kann eine höchst unvernünftige Essattacke sein, gegen die es kein Gegenmittel gibt..

Die Natur hat eben ihre eigene Logik, sie lässt uns in vielen Dingen einfach nicht die frei rationale Wahl!

Auch wenn Jungen in der Pubertät mit dem Sexualhormon Testosteron geradezu überschüttet werden, kann kaum ein rational vertretbares Sexualverhalten die Folge sein. Aber natürlich bezeugen solche Konflikte zwischen den Mechanismen der menschlichen Natur und unserem Verhaltenskodex nicht das Vorliegen von Krankheiten. Abhängig krank ist der Mensch erst dann, wenn in diesen Konflikten die rationale Steuerung ohne Rücksicht auf den Eintritt von Schäden abgeschaltet wird.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht seit 1963 nicht mehr von Sucht, sondern von Missbrauch oder Fehlgebrauch und Abhängigkeit, um eine Stigmatisierung, die man im Wort Sucht sah, zu vermeiden. Inzwischen verwendet die WHO den weit treffenderen Begriff des Abhängigkeitssyndroms für die stofflichen Abhängigkeiten und kennt daneben die nichtstofflichen Abhängigkeiten. Damit liegt sie wieder ganz nahe am geltenden Sprachbegriff, ohne ihn zu nutzen.
Die Befassung mit den Begrifflichkeiten ist alles andere als eine Spielerei. Wenn jemand eine wiederkehrende Verhaltensweise zeigt, zu der es ihn drängt, obwohl sie ihm beim richtigen Nachdenken als unvernünftig erscheint und die nach seiner tief verinnerlichten Vorstellung nicht wertvoll besetzt ist, ist er von diesem Verhalten abhängig. Es kann sich daher niemand herausreden, nicht alkoholabhängig zu sein, der wider besseres Wissen und entgegen seinen unbewussten tief sitzenden Werteinschätzungen jeden Tag so viel Alkohol trinkt, dass eine Verfettung der Leber, die Entstehung von Gallensteinen und viele andere Malaisen mehr über kurz oder lang einfach eintreten müssen. Die dumme Ausrede, dass man jederzeit aufhören könne oder dass man einfach mehr vertrüge als andere, verfängt dann nicht. Ebenso ist eine Hausfrau ein süchtiger Putzteufel, wenn sie jeden Tag mehrfach über alle Flächen in der Wohnung wischt, auch wenn beim besten Willen kein Staub mehr aufzunehmen ist.

Es gibt nur wenige Menschen, die nicht irgendwie abhängig sind.

Natürlich gibt es sie: In ihre persönliche und berufliche Umwelt gut eingebettete Menschen ohne Marotten und seltsame Eigenheiten. Sie sind nicht abhängig. Aber wie viele sind so gut drauf? Zählen Sie nur die regelmäßigen Raucher und die regelmäßigen Genießer von Alkohol im Übermaß zusammen, wobei ich nicht die meine, die immer nur bei einem (Frauen) und zwei (Männer) Glas Wein am Tag bleiben. Allein durch diesen Drogenkonsum kommen wir grob geschätzt auf über zwei Drittel der Bevölkerung. Zählen Sie noch die sog. Fettsüchtigen hinzu, auf die noch gesondert einzugehen sein wird, die über keine Esskontrolle verfügen, sind Sie schon bei 4/5 der Bevölkerung.

Mehrfache Gründe für Abhängigkeiten sind bei der Rechnung natürlich berücksichtigt, weil wir sonst die 100 % schnell überschritten. Gewiss gibt es bei Eifersüchtigen, Sexsüchtigen und Machtsüchtigen nicht ebenso viele Fälle. Auch die Spielsüchtigen sind gemessen an der Gesamtzahl der Einwohner nicht so enorm viele. Aber wie viele Arbeitssüchtige gibt es in unserer hektischen Zeit und dem vorherrschenden Sozialabbau, in der fast jeder glaubt, sich überanstrengen zu müssen, um nicht abgehängt zu werden? Auch Erlebnissüchtige gibt es sicher nicht nur unter den Jugendlichen und Heranwachsenden mit ihrer übertrieben gesteigerten Gier auf immer Neues und Aufregendes. Denken Sie an Sammelsucht und Müllsucht (Messies). Wie viele Menschen bleiben am Ende noch, die nicht vom Problem der Abhängigkeit irgendwie betroffen sind? Wenn Sie zu den wenigen gehören, die da persönlich nicht berührt sind, können Sie sich zurücklehnen und wie die „Fromme Helene“ Wolfgangs Buschs sagen: „ Ei ja, da bin ich aber wirklich froh. Gott sei Dank, ich bin nicht so!“ Sonst aber lesen Sie doch weiter um zu sehen, dass man in den meisten Fällen etwas gegen die Sucht tun kann.

2. Die vier Schritte, die aus der Abhängigkeit herausführen

Erster Schritt:

Niemand will gern vor sich selbst eingestehen, dass er innerlich getrieben ist, laufend Dinge zu tun, von denen er bei sorgsamer Betrachtung genau weiß, dass sie unvernünftig sind. Er will auch nicht, dass ihm bewusst wird, dass er diese Dinge in seinem tiefsten Innern gar nicht wertschätzt. Also macht er sich und anderen gern vor, dass er gar nicht abhängig ist. Der erste Schritt aus der Abhängigkeit heraus ist daher die Selbstbeobachtung und die Besinnung auf das eigene Verhalten. Ganz zu Recht heißt es, dass die Einsicht der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung ist. Die weiteren Schritte kommen bei ein wenig gutem Willen unweigerlich, wenn es auch oft sehr lange braucht, bis eine starke Abhängigkeit Schritt für Schritt wirklich fällt. Auf alle Fälle weiß man schon einmal mit dem ersten Schritt, dass man ein Problem hat, und kennt seinen Gegner beim Namen.
Zweiter Schritt:

Der zweite Schritt ist die geistige Auseinandersetzung mit dem Gegner, was zunächst bedingt, ihn genau zu kennen. So wie ein Boxer gut daran tut, sich vor dem nächsten Kampf die Qualitäten seines nächsten Gegners in Aufzeichnungen anzusehen um seinen Stärken begegnen und seine Schwächen ausnutzen zu können, ist es unerlässlich, dass der Abhängige den Feind richtig einschätzt. Der Raucher, z.B., der ohne sich das klar zu machen, immer davon profitiert hat, dass er sich in jeder Situationen durch die Wirkung des Nikotins nach eigener Wahl entweder in eine bessere Stimmung bringen oder eine zu euphorische Stimmung dämpfen konnte, muss sich dessen ganz deutlich bewusst werden, dass der Einsatz des Nikotins ihm praktisch einen Schalter an die Hand gibt, durch dessen Betätigung  er Einfluss auf seine Stimmungslage nehmen kann. Er muss sich auch dessen bewusst werden, dass die fast rituellen Handlungsabläufe vom Hervorkramen der Zigarette über ihr Anzünden, die manuellen Bewegungsabläufe, das Inhalieren und das Ausstoßen des Rauchs in seinem Empfinden einen rituellen oder fast kultischen Wert bekommen haben. Umso eher kann er den objektiv erbärmlich geringen Wert dieser Leistungen als solchen erkennen und die im Vergleich dazu geradezu erschütternd schweren Schäden einschätzen, die die Gesundheit dadurch erleidet.
Dann kann eine aktuelle Information wie die in sein Gemüt einsickern, dass 1 Zug aus einer Zigarette die Lunge mit 100 Billionen an freien Radikalen überflutet. Nur mit bester Mikronährstoffversorgung schaffen wir es, in den Verbrennungskammern unserer Körperzellen, den Mitochondrien, die großen benötigten Mengen unserer Lebensenergie ATP (Adenosintriphosphat) aufzubauen und zugleich mit den wichtigen sog. Radikalenfängern unter ihnen, Vitaminen und Hormonen, zu verhindern, dass die Rückstände aus dieser kalten Verbrennung, die hochaktiven freien Radikale, abgefangen werden, damit sie nicht das Erbgut der Mitochondrien zerstören. Da ist es eine unvorstellbare Dummheit, aus der offenen Verbrennung des Tabaks und des Zigarettenpapiers noch solche Unmengen weiterer freier Radikale in den Körper zu bringen. Dass das Rauchen ganz aktuell schwer schadet, beeindruckt übrigens viel mehr als die Erklärung, dass es irgendwann einmal tötet. Sterben tun wir alle, aber darben will niemand.
Ganz entsprechend kann der Alkoholgewöhnte, wenn er so weit ist, unschwer realisieren, dass die Droge Alkohol seine Gehirnchemie auf den Kopf stellt, so dass schon nach dem ersten Glas seine geistige Leistungsfähigkeit signifikant abfällt. Wer weiter trinkt, sollte sich einmal auf Band anhören, wie es ihm immer schwerer fällt, sich vernünftig zu äußern. Ähnlich ist es bei jeder anderen Sucht, deren Hauptkriterium es ja ist, dass der Betroffene seinen Verstand und seine tieferen Wertvorstellungen aufgibt, um dem Drang das angestrebte Verhalten und die dadurch ausgelösten Wirkungen wieder zu erleben, nachzugeben.

In der Psychologie gibt es eine stark vertretene Auffassung, die der Herstellung einer Aversion gegen das Abhängigkeitsverhalten wenig Wirkung zuspricht. Ich denke, dass alle Schritte in die richtige Richtung zum Erfolg beitragen. Aber aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass die Erwartung des Sieges über die eigene Sucht starke positive Empfindungen auslöst. So wie die Hoffnung auf einen Lottogewinn einen Menschen emotional ganz vereinnahmen kann, ist der Gedanke daran, dass man es wirklich schaffen kann, das einmal richtig erkannte Elend der Abhängigkeit abzustreifen, stark glücksbehaftet.
Dritter Schritt:

Die genannten ersten beiden Schritte erleben viele Abhängige jahrelang immer wieder. Oft kommen sie in die Nähe des Vorsatzes, aktiv zu werden. Manchmal hören sie auch tatsächlich auf, fangen aber wieder an. Um langfristig von der Abhängigkeit los zu kommen, bedarf es im dritten Schritt einer gut durchdachten und vorbereiteten Aktion.  Man muss also eine Strategie für sein Vorgehen entwickeln. Als Beispiel schildere ich einmal, wie ich vor vierzig Jahren vom Kettenrauchen abgekommen bin. Monatelang quälte ich mich damit, endlich das inzwischen voll als unsinnig verstandene Rauchen zu beenden. Dann traf ich wie üblich meine Freunde und Bekannte und rauchte einfach weiter so wie sie auch. Für mich war die Vermittlung meiner Absicht, aufzugeben, die entscheidende letzte Hürde. Also sagte ich niemand was davon, täuschte eine Erkältung vor, bei der ich den Rauch angeblich nicht ertrug und rückte zwei Wochen danach mit der Wahrheit heraus. Dieser dritte Schritt kann für die Umgebung des Süchtigen als ganz plötzliches wundersames Ereignis kommen. Es hat ja auch etwas Spektakuläres, wenn das Elend ganz plötzlich endet. Auch hierzu ein Beispiel aus meiner Erfahrung, auch wenn ich diesmal nicht der Glückliche war: Eine junge Frau war, ohne dass sie sich oder anderen das eingestehen wollte, komplett dem Alkohol verfallen. Sie suchte ständig die Gelegenheit, mit anderen trinken zu können und fand nie ein Ende. Inzwischen trank sie auch heimlich allein. Als ihre Beziehung zu scheitern drohte, ließ sie sich für drei Wochen in eine psychosomatische Klinik einweisen, wurde dort entgiftet und entschloss sich, keinen Alkohol mehr zu trinken. Natürlich war ihr desolater Zustand lange vorher bewusst geworden, sie musste nur erst einmal „die Kurve kratzen.“ Das allein wäre nicht besonders erwähnenswert. Ein guter Bekannter der jungen Frau, der auch immer viel getrunken und erklärt hatte, er könne das ganz gut ab, sah wie sie das Trinken aufgab und machte es ihr von jetzt auf gleich einfach erfolgreich nach. Das ist jetzt viele Jahre her. Soweit ich weiß, hat keiner mehr ein Glas angerührt.

Solche Fälle überraschend anmutender Befreiung von schwerer Sucht kann man nicht herbei schreien.

Sehr oft geht es nicht ohne eine gründliche Therapie unter Einbeziehung des ganzen sozialen Umfeldes, durch intensive therapeutische Gespräche und – in vielen Fällen unverzichtbar – eine Gruppentherapie.

 

Vierter Schritt:

Keiner von denen, die es geschafft haben, von ihrer Abhängigkeit auf Dauer los zu kommen, hätte aber obsiegt, wenn er nicht auch den vierten Schritt gegangen wäre. Das ist die Nachsorge. Was man in der Erkenntnis der eigenen Abhängigkeit und über die großen Vorteile der Befreiung von ihr gelernt hat, muss praktisch im übertragenen Sinne zur zweiten Haut werden. Man darf auch Jahrzehnte danach nie aufhören, stolz auf sich zu sein, dass man diesen großen Erfolg erreicht hat – und dass man es schafft, ihn auf Dauer zu konservieren. Man sollte das Thema nie aus dem Auge verlieren, denn der Gegner tut es auch nicht. Wenn man da konsequent ist, hat man eine gute Chance, auf ewig „clean“ zu bleiben. Wie tief die Sucht sich eingräbt, habe ich dreißig Jahren nach dem Ende des Rauchens im Schlaf erlebt, allerdings auch meine wütende Abwehr. Ich träumte nämlich davon, dass ich mir wieder eine Zigarette in den Mund gesteckt gehabt hätte und gerade daran ziehen wollte. Noch im Schlaf sprang ich auf, warf die Zigarette auf den Boden und zertrampelte sie voller Wut. Davon wurde ich wach und stand tatsächlich neben dem Bett, wenn auch ohne Zigarette oder ihre Reste.

Was aber ist, wenn man scheitert und wieder anfängt? Da darf man nur nicht nervös werden und meinen, man hätte endgültig verloren. Man muss einfach wieder aufhören. Früher nahmen Kliniken rückfällige Alkoholiker nicht wieder auf, um sie zu erziehen. Aber der Alkoholismus ist doch anerkanntermaßen eine Krankheit, bei der man die mögliche Hilfe nicht verweigern darf! Ich habe viele Alkoholkranke gesehen, die schwer abhängig waren, nach vielen Jahren für eine Weile rückfällig waren, und es dann bis zu ihrem Ende geschafft haben, trocken zu bleiben.

3. Besondere Suchtgefahren unserer heutigen Zeit

Ich greife aus den ungezählten heute bekannten Varianten des Suchtverhaltens einmal exemplarisch die Fett- bzw. Esssucht und die Spielsucht heraus, die öffentlich weniger als Formen der Sucht bekannt sind, obwohl sie längst zu ihren gefährlichsten Formen zählen.

 

Fett- bzw. Esssucht

Bei der sog. Fettsucht oder der Adipositas, dem stark überhöhten Körpergewicht, und auch bei den Essstörungen (Magersucht und Bulimie), die ein gesondertes, hier nicht behandeltes, Thema sind, liegen die Dinge komplizierter.

Bei der Adipositas ist es angesichts sichtbarer Körpermassen nicht schwer zu erkennen, was das Ziel der Intervention sein muss. Aber liegt dem Übergewicht wirklich ein Suchtverhalten zu Grunde? Sicher strebt kein Übergewichtiger danach, fett zu essen, das meiste Körperfett baut man ja auch aus Zuckerstoffen auf. Aber der Vorgang des Essens kann für die Betroffenen besonders erstrebenswert sein. Man kann daher bei der Adipositas eher von einer Esssucht  sprechen.

Nachdem jahrzehntelang proklamiert worden war, dass eine negative Energiebilanz sicher stellen würde, dass die Fettpolster verschwänden, kann nach den heute gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Bedingungen der Verbrennung von Körperfett davon keine Rede mehr sein. Wenn nicht regelmäßig Essenspausen eingehalten werden, in denen sich das auch „Dickmacher“ genannte Transporthormon Insulin zurückzieht, bleiben die Hormone, Proteine und Enzyme aus, die sich sonst auf körpereigene Weise bilden, die Fettzellen öffnen und ihren Inhalt in die Verbrennungskammern der Körperzellen befördern. Wer nur die Kalorienzahl reduziert, vermindert die Muskelmasse, aber nicht das Fett. Das macht keinen Sinn, weil die Muskeln gebraucht werden, um die Kalorien zu verbrennen. Wo ist denn da das unvernünftige Verhalten, das das Signum der Sucht ist?

Es liegt vordringlich in der Nichteinhaltung von Essenspausen. Dazu kommen angelernte falsche Essgewohnheiten wie das zu üppige Essen und die falsche Nahrungsauswahl. Hier gilt es analog zum vorstehend beschriebenen zweiten Schritt bei der Bekämpfung einer Sucht sich genau zu informieren, was zu tun ist. Allzu schwierig ist es nicht, die richtigen Maßnahmen zu bestimmen. Aber dann auch genau das als richtig Erkannte zu tun, ist die größte Schwierigkeit. Zur Macht der Gewohnheit und dem Essen aus Lebenslust oder zur Vermeidung des Lebensfrusts kommen besondere Probleme wie die Gier auf Süßes und Fettes (Schokolade) und die schrecklichen Heißhungerattacken (binge eating). Sie machen es sehr vielen unmöglich, auf das Essen zwischen den geplanten maximal drei Mahlzeiten zu verzichten. Da allerdings hilft die Begünstigung des körpereigenen Aufbaus des zentralnervösen Esskontroll- und Wohlfühlhormons Serotonin, was insbesondere nach dem von mir entdeckten Aminas-Prinzip in aller Regel durch den nüchternen Verzehr fein gemahlener roher Pflanzenkost ermöglicht wird. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die kleine Umstellung in der täglichen Ernährung auf nur einen einzigen Esslöffel dieser Naturnahrung sehr bald dazu führt, dass man sich beim Essen auch weniger vorlegt, weil man gar nicht mehr so viel „schafft“ wie früher.

Zur Schokosucht hat die Wissenschaft mit der Entdeckung des Botenstoffes Enkephalin gerade neue Erkenntnisgrundlagen geschaffen. Offenbar reicht schon ein einmaliger Kontakt im Leben mit Schokolade, um diesem Botenstoff einen festen Ort im Belohnungszentrum des Gehirns zu verschaffen. In der Folge reicht schon der Geruch nach Schokolade, um diesen Botenstoff auf die Reise zu schicken und die Gier nach ihrem Verzehr zu erzeugen. Allerdings war, auch als man diesen raffinierter Transmitter noch nicht kannte, bereits bekannt, dass das Esskontrollhormon Serotonin, das bekanntlich der große Modulator im menschlichen Gehirn ist, auch die Funktion hat, solche Gelüste zu begrenzen.

Nicht wenige Übergewichtige schaffen es selbst mit einer hormonellen Verbesserung der Esskontrolle nicht, auf Zwischenmahlzeiten zwischen den angesagten Essensterminen zu verzichten oder die wenigstens so klein zu halten, dass ihr Körper dadurch aus der natürlichen Fettverbrennung herausfällt. Einige können sogar nicht anders, als immer wieder Zeiten einzulegen, in denen sie Stunde um Stunde ständig neue Speisen aufnehmen. Besonders gefährlich sind das die oft unausgefüllten Abendstunden der allein lebenden Menschen. Werden diese dann verzehrten großen Nahrungsmengen dann wirklich verstoffwechselt, was von vielen Umständen, vielleicht auch der Konstitution des Einzelnen, abhängt, baut der Körper die Fette unmittelbar in seine Fettdepots ein und zudem alle anderen Energieträger – voran die Zuckerstoffe – nach chemischer Umwandlung in Fette auch. Übertreibt man das sehr, helfen selbst lange Essenspausen in den nachfolgenden Phasen nicht, alsbald den Schaden wieder zu beseitigen.

Wie aber kann es sein, dass vernünftige Menschen trotz besseren Wissens so unvernünftig essen? Allein hormonell kann man das nicht erklären oder in den Griff bekommen. Gründe für so viel Unvernunft sind nach allgemeiner Annahme wahrlich übermächtige psychische Antriebe wie der Drang nach mehr Freude im Leben und die Abwehr von Frust, Monotonie und Langeweile durch lustbetontes Essen.
Die neue Suchtfalle: Computer-Spielsucht

Unter den oben erläuterten allgemeinen Begriff der Sucht fällt zwanglos die Spielsucht, die ihre Opfer in die Spielcasinos und an die überall herumstehenden Gelspielautomaten treibt und ganze Existenzen wirtschaftlich vernichtet. Seit dem Aufkommen des Computers und des Internets gibt es aber auch eine neue, ganz besonders gemeine Spielsucht, die den Spieler und seine Umwelt auf hinterlistige Weise in sklavische Abhängigkeit zwingt.

Bevor ich auf die Wirkungen der Computer-Rollenspiele wie „World of Warcraft“ und „Second Life“ näher eingehe, erinnere ich einmal an den  weltweiten riesigen Wirbel, den das Mitte der 90er Jahre in Japan erfundene Spielzeug Tamagotchi auslöste. Millionen Kinder gerieten dadurch in eine persönlich stark verpflichtende Abhängigkeit von der ständigen Betreuung dieses in Wahrheit seelenlosen technischen Spielzeugs.

 

Vorläufer Tamagotchi

Dieses Objekt namens Tamagotchi  in der Größe eines Schlüsselanhängers stellt ein virtuelles Küken dar. Das Einschalten wird als sein Schlüpfen verstanden. Sein Besitzer steht dann in der Pflicht, sich wie bei einem lebendigen Haustier um alle seine Bedürfnisse zu kümmern, also um Essen, Trinken und Schlafen aber auch um Unterhaltung und zärtliche Zuwendung. Es meldet sich von selbst, wenn es betreut werden will. Es ist so programmiert, dass der Besitzer in ihm eine eigenständige Persönlichkeit sehen soll.  Kümmert man sich nicht darum, hat der Besitzer die Schuld daran, dass es „stirbt.“ Die kleinen ängstlichen Seelen der Kinder werden dadurch so stark gefordert, dass sich ihr ganzes Leben bald nur noch um ihre Zöglinge dreht. Solche Affenliebe ist mit Tierliebe nicht vergleichbar. Ein Kind lernt emotional dazu, wenn es sich in die Seele eines lebenden real fühlenden und reagierenden Haustieres versetzt. Es wird bereichert, wenn es erfolgreich zu seiner wirklich benötigten Versorgung und Betreuung mit beiträgt. Ihm ein technisches Spielzeug in die Hand zu drücken, das ständig Hilfe erfragt, die objektiv nicht gebraucht wird, ist eine ganz andere Sache.

2004 wurde das Tamagotchi-System dadurch ausgebaut, dass man jetzt diese Kunstwesen und deren Besitzer miteinander in Verbindung bringen kann. Man macht sich jetzt auch Geschenke, und die Tamagotchis können, ganz wie die Martell-Puppen Barbie und Ken,  heiraten und Kinder kriegen. Um die Verblödung auf die Spitze zu treiben, zählen vernetzte Tamagotchis ihre Familiengenerationen mit, denn als Eltern begeben sie sich nach dem Ausschlüpfen ihrer Kinder zurück auf den „Tama-Planeten“. Wieso eigentlich fällt mir bei solch wilder Phantasie gleich die wirre Fiktion des Scientology-Gründers Ron L. Hubbard über den galaktischen Gewaltherrscher Xenu und das Schicksal der Thetanen, der Seelen der Menschen, auf Teegeeack (Erde) ein? Aber ich vergaß doch, dass Hubbard gar keine Fantasie schaffen, sondern eine Religion gründen wollte!

 

World of Warcraft

Ganze Generationen junger Menschen, besonders männlicher Heranwachsender, sind mit einem weltweit verbreiteten Computerspiel namens „World of Warcraft“ in eine Abhängigkeitsfalle getappt, die sie auch als Erwachsene einfach nicht loslassen will. Dieses Spiel und etliche seiner Nachfolger locken ihre Opfer mit packenden Spielszenen, in die sich die Spieler Hals über Kopf als Akteure hineinstürzen können. Das alles sieht anfänglich sehr harmlos aus. Ist ja nur ein Spiel! Die Teilnahme kostet auch nichts – jedenfalls lange nicht. Mit wiederholten Belobigungen für geschickte und erfolgreiche Daddelei baut das Spiel das Ego des Spielers immer mehr auf. Er schlüpft in eine Rolle innerhalb des Spiels (Avatar), gewinnt dort Respekt und Ansehen der Mitspieler, die über das Netz weltweit mit ihm verbunden sind. Es kann kaum ausbleiben, dass die Realität neben der Scheinwelt des Spiels grau und langweilig wird. Der Spieler absolviert gerade mal die äußeren Pflichten des täglichen Lebens. Sein Denken und Fühlen aber bewegt sich immer mehr im Spiel. Wie der Suchtexperte Privatdozent Dr. Bert te Wildt von der Ruhr-Universität Bochum, Autor des in Fachkreisen sehr beachteten Werkes über die „Medialisation“ im Spiegel-TV gerade berichtete, kommt es zu Exzessen, dass Spieler über 50 Stunden ohne Schlaf im Spiel befangen bleiben. Natürlich bricht spätestens dann die reale soziale Welt einfach ein (http://www.stern.de/tv/sterntv/computerspielsucht-gefangen-im-netz-1914118.html).

Was bei diesen Spielen finanziell unproblematisch anfing, wächst sich später auch zum wirtschaftlichen Problem aus. Die Betreiber der Spiele veranstalten internationale Wettbewerbe, bei denen Gewinne von beispielsweise 50.000,00 US-$ für den Gewinner ausgesetzt werden. Mit „nur“ 50,00 $ Einstand ist der einzelne Spieler schon dabei. Wenn Eltern oder Ehefrauen von Spielern mal einen Blick auf deren Kontoauszüge werfen können, können sie über die Auslandsüberweisungen überrascht feststellen, dass bei immer neuen Wettbewerben beträchtliche Summen „verzockt“ wurden.

 

Second Life

Besondere Bekanntheit unter diesen süchtig machenden Spielen hat das 1999 eröffnete und  immer weiter ausgebaute „Second Life“ des Betreibers Linden Lab aus den USA erlangt. Hinter Second Life stehen Pierre Omidyar, der Gründer von Ebay, und Jeff Bezos, Chief Executive Officer (CEO) von Amazon International. Bei Second Life sind Einstiegsgebühren und Folgegebühren zu erbringen.  Da es bereits 24 Millionen Benutzerkonten weltweit gibt, ist die Spielerei für die Erfinder des Systems eine wahre Goldgrube.

Um Geldgewinn für die Spieler geht es bei zunächst nicht. In vielen Fällen geben die Rollenspieler aber auch bald reguläres Geld aus, um sich Spielgeld, die „Linden-Dollars“ zu kaufen, um damit innerhalb der fiktiven Welt Vorteile zu haben. Wie ich hörte, bekommt man etwa 400 Linden-Dollars für einen Euro. Einige Spieler haben sogar ihre Arbeit gekündigt und leben von den Einkünften aus dem Spiel, auch wenn diese derzeit im Einzelfall auch kaum 1.000,00 Euro übersteigen.

Mitbewerber von „Second Life“ sind u.a.  „Active Worlds“, die ihr Konzept schon 1997 fertig aufgebaut hatten, „Entropia Universe“, „There“ und „Dotsoul Cyberpark.“

Tamagotchi drängte den Spieler nur in eine abhängige Rolle von seiner  vorgeblich unerlässlichen Betreuungsaufgabe. Weit gefährlicher ist es, wenn das Spiel den Akteur selbst zur Annahme einer zusätzlichen Identität bringt, die genau so ihre Rechte in der in Echtzeit ablaufenden Historie geltend macht wie das eigentliche Selbst des Spielers. Denn das Spiel ergreift bald Besitz vom Spieler und nimmt ihn so gefangen, dass für sein wirkliches Leben nicht mehr genügend Raum bleibt. Genau genommen hat er sowohl für sein echtes wie für sein angenommenes zusätzliches Leben zu wenig Zeit. Unübersehbar hat ein solches Spiel schizophrene Züge. Eine Person soll in sich eben zwei Identitäten vereinen. Lebt sie in einer Rolle neben ihrem realen Leben noch zusätzlich in einem virtuellen Leben, kommen zwangsläufig Probleme von der Art  auf, wie sie ein Doppelleben führenden Bigamisten oder auch die Menschen, die mehrere parallele Liebschaften unterhalten kennen (so wie es der bekannte Wettermoderator Jörg Kachelmann jahrelang tat).

 

Doppelter Spaß und doppelter Ärger

Solches Doppelleben verspricht vordergründig vermehrten Spaß am Leben. Wer im realen Leben arm ist und eine hässliche zänkische Frau hat, kann sein Leben teilen und in der virtuellen Welt ein reicher Mann mit  treu ergebener Traumfrau sein. Second Life gibt dem Spieler jederzeit die Möglichkeit, der schalen normalen Welt vorübergehend zu entkommen und sich im zweiten Leben richtig zu tummeln. Dies ist auch die Grundidee des „Holodecks“ auf dem Raumschiff Enterprise in der Science-Fiction-Serie „Star Trek“. Auf kurzen Zuruf an den Bordcomputer können die Raumfahrer zwischen ihrem realen Leben an Bord und einer selbst gewählten Phantasiewelt in beliebiger Zeitzone hin- und herwechseln. In dieser Utopie gibt es allerdings keine Kollisionen zwischen den Ansprüchen beider Welten, weil die Kunstwelt jederzeit an jedem beliebigen Punkt angehalten werden kann. Das hingegen lassen die Regeln, die die  geriebenen Macher den heutigen Computerspiele verpasst haben, nicht zu. Sie sorgen durch allerlei Tricks dafür, dass der Spieler auch ja viel Zeit in der virtuellen Welt verbringt. Darum werden ihm –ähnlich wie bei Tamagotchi- dort auch Verpflichtungen auferlegt. Zum Ausgleich erhält er ungeahnte Aufstiegsmöglichkeiten wie er sie im wirklichen Leben so schnell niemals kriegen kann. Er kann dort nach Wahl mit Fleiß und Anstand oder mit Tücke und Gewalt reich und mächtig werden – wie in der Wirklichkeit auch, nur mit großer Gewähr für das Gelingen. Nach einer Weile gefällt dem Spieler das aufregende und erfolgreiche zweite Leben besser, sodass er dessen Anforderungen mit Vorrang bedient.

Viele Spieler schaffen es über lange Zeiträume, ihre beiden Leben so nebeneinander  zu führen, dass ihre ewige Spielerei noch als Hobby abgetan werden kann. Nach und nach aber vernachlässigen sie ihre beruflichen Aufgaben und ihre sozialen Kontakte im realen Leben. Sie ziehen sich unweigerlich den Ärger ihrer Partner, Familienmitglieder und Arbeitskollegen zu. Sichere Anzeichen dafür, dass die fiktive Welt bereits Vorrang vor der Realität genießt ist es, wenn sich der Spieler nächtelang mit seinem Computer einschließt und morgens nicht zur Arbeit geht, weil er ja auch einmal schlafen muss. Wenn es so weit ist, häufen sich Versäumnisse und Fehler im realen Leben, bis dort nichts mehr geht.

 

Das mit  betroffene Co-abhängige Umfeld leidet ebenso wie der Spieler.

Menschen, die in die Falle der Computerspiele geraten, müssen keine Fieslinge sein. Solange es noch halbwegs erträglich ist, werden sie von den Menschen ihres Umfelds nach außen hin geschützt. Da redet sich der Arbeitskollege für den ständig zu spät kommenden Spielsüchtigen, der einem Kunden eine Information geben soll, heraus, dass er auf einem Außentermin wäre. Da melden ihn seine Mutter oder seine Frau bei der Schule oder beim Arbeitgeber krank, obwohl er nur übermüdet ist, weil der die ganze Nacht am Bildschirm saß.

In der Psychiatrie geht man davon aus, dass die Menschen des Umfeldes des Rollenspielers, die ihn systematisch schützen, ihrerseits psychopathisch auffällig sind und behandelt werden müssen. Soweit würde  ich nur im Extremfall gehen. Tatsache aber ist, dass die Menschen im Umfeld des Spielsüchtigen auf dem Weg der Bewältigung der Sucht eine Schlüsselrolle spielen. Bevor die Schule „geschmissen“ wird, der Arbeitsplatz verloren geht oder Schlimmeres geschieht, kann eine hilfreiche Notlüge mal zulässig sein. Wenn das Verbergen des Problems aber Routine wird, hilft nur noch eine Generalbereinigung. Der Betroffene, der innerlich längst weiß, dass er sich und alle Menschen seines Umfeldes immer weiter über den Ernst der Lage zu täuschen versucht, muss vorsichtig aber bestimmt darauf angesprochen werden, dass die sozialen Brücken nicht mehr halten werden, wenn er seinem wahren Leben nicht die benötigte Zeit gibt. Im Netz finden sich sehr feinfühlige und kluge Beschreibungen der Abläufe. Sehen Sie sich stellvertretend nur im Internet an, wie sensitiv die Wiener Forumsteilnehmer „Kralle“ und „Ramona“ an das Problem herangehen. Mit Gewalt geht da nichts, aber auch nicht mit Nachgiebigkeit (http://www.onlinesucht.at/forum/ftopic28.html).

 

Besonderheiten bei der Bewältigung der Spielsucht

Der Spielsüchtige ist oft ein besonders uneinsichtiger Verhaltenssüchtiger. Er meint, dass er doch nur seinen Spaß suche und dadurch niemandem schade. Da er bei Widerspruch – unabhängig vom persönlichen Temperament – schnell kribbelig und laut wird, darf man ihm nicht sein Verhalten als schädlich vorhalten und ihn deswegen schelten. Das ist kontraproduktiv. Auf der anderen Seite ist zu große Nachgiebigkeit ebenso falsch. Besonders ungünstig ist es, wenn sich das Umfeld des Betroffenen in harsche Kritiker und nachgiebige Helfer aufteilt. Der Süchtige kommt nur zur längst in ihm schlummernden Einsicht, wenn ihm von allen Seiten zugleich klare Grenzen aufgezeigt werden. Es wird nicht anders gehen, als dass man ihm in aller Freundlichkeit und ohne jeden Vorwurf ankündigt, die Beziehung zu ihm zu beenden oder grundlegend zu ändern, wenn er seine Spielsucht nicht angeht. Praktisch gibt es meist nur diese eine Konsequenz, nämlich dass der Betroffene freiwillig den Zugang zu den seine ständige Anwesenheit fordernden Spielprogrammen im Internet löscht. Dr. te Wildt schlägt vor, im Zweifel zeitlich begrenzte Spielmöglichkeiten mit Spielen auf jederzeit abschaltbaren Datenträgern zu vereinbaren. Im Ergebnis hat der Spieler aber nicht mehr und nicht weniger Wahl als der ertappte Bigamist, der nach der Aufdeckung seines Rollenspiels auch eine Entscheidung für eine seiner Rollen treffen muss. Wenn indessen der Spieler es tatsächlich schafft, das Computerspiel zeitlich so zu begrenzen und zu legen, dass er seinen persönlichen und beruflichen Verpflichtungen gerecht wird, ist fürs Erste die Gefahr gebannt. Der Spieler handelt dann ja nicht mehr gegen sein besseres Wissen. Schon begrifflich liegt dann keine Sucht mehr vor. Sinnvoll ist  es aber zu erkennen, dass der Mensch, des so vorgeht, auf einem schmalen Grat wandelt.

Will der Spieler partout gar nichts einsehen, hilft ihm vielleicht ein Selbsttest, wie er im Netz zu finden ist. Von den 15 einfachen Fragen auf http://www.testedich.de/tests/spieletest.php3 wird er zweifellos jede mit „immer“ beantworten, etwa ob er an seine Spiele auch denkt, wenn er mit anderen Dingen beschäftigt ist.

Oft, wenn nicht gar meist, schaffen die Betroffenen es aber nicht ohne externe Hilfe. Dann bietet es sich an, dass die Co-Abhängigen und der Hauptbetroffene sich gemeinsam zu einem Therapeuten begeben. Es gibt heute überall sehr gute Therapeuten, die zuverlässig helfen können. Das methodische Herangehen und der vorsichtige Umgang mit den Problemen ist ein besonderes Markenzeichen der sog. Kognitiven Verhaltenstherapie, die klugerweise auf alle denkbaren Hilfen setzt von der Mithilfe des sozialen Umfelds über die Gesprächstherapie bis zur Gruppentherapie. Aus der Arbeit der Anonymen Alkoholiker lässt sich übernehmen, dass oft gerade die soziale Kraft von Gruppen einander bisher unbekannter Betroffener die intensivste verhaltensändernde Kraft entfaltet.

In der Nachsorge sollten alle Betroffenen sich immer wieder darüber freuen, dass man es gemeinsam geschafft hat, das Opfer der Spielsucht aus den Fängen des Rollemspiels zu befreien. Der Spieler muss wie ein entschiedener Abkehrer vom Rauchen stolz darauf sein, dass er die Kraft aufgebracht hat, der Verführung durch das vereinnahmende unvernünftige Verhalten die Stirn zu bieten und sich künftig rational auf sein eigenes gesundes Leben zu konzentrieren.

 

 

Ein Überblick über die Realitätsferne der ganzen Gesellschaft 

Dass in unserer heutigen Zeit Rollenspiele auftauchen, die die Mitspieler die Realität fliehen lässt und sie in eine Scheinwelt lockt, ist kein Zufall. Unsere Gesellschaft hat sich in den Jahrzehnten seit der ersten industriellen Revolution im 19. Jahrhundert immer mehr auf die Flucht aus der Wirklichkeit begeben. Dies zeigt sich auf allen Ebenen. Hier nur ein paar aktuelle Beispiele:

(1) Früher tauschten die Menschen Waren aus, dann erfanden sie Tauschmittel und das Geld. Heute reicht nicht mal Papiergeld, es gibt „fiat money“, imaginäres Buchgeld in Massen wie sie real niemals gebraucht werden könnten. Die kritischen Finanzexperten   Popp und Albrecht haben für jedermann verständlich dargelegt, dass unser Wirtschafts- und Finanzsystem ohne eine greifbare Basis ist (http://www.wissensmanufaktur.net/).

Solange noch der Goldstandard galt, hatte jeder Geldschein den Bezug zu der materiellen Besicherung des mit ihm verkörperten Zahlungsversprechens durch dieses seltene Edelmetall. Aufgeweicht wurde dieses System in Deutschland erstmals durch Hjalmar Schacht, der die Wirtschaftskraft des Volkes als Grundlage des Geldwertes einführte. Das hatte indessen noch Hand und Fuß.

Heute bestimmen die privaten Eigentümer der Federal Reserve Bank in New York (FED), wie viel Geld sie sie drucken und was die Abnehmer, einschließlich des Staates USA selbst, an Zins für sie zu zahlen haben. Banken haben das Sonderrecht, durch Darlehensvergabe selbst „Giralgeld“ zu schaffen, das keinerlei reale Entsprechung hat. Kein Wunder, dass bei Second Life Linden-Dollar ausgegeben werden, die keinerlei Sicherheiten kennen, aber sogar gegen das von der FED künstlich geschaffene selbst nicht mehr durch Werte gedeckte „reale“ Geld und damit auch in jede andere Währung umgetauscht werden kann.

(2)Jahrtausende lang hat es den Austausch von Gütern gegeben. Niemals in aller Vergangenheit aber hat sich die Konsumwelt so sehr verselbständigt  wie wir das heute in allen sog. zivilisierten Ländern erleben. Verbrauchsgüter werden um des Wachstums der Produktion willen in immer größeren Mengen hergestellt. Um sie an den Verbraucher zu bringen, muss dieser heftig beworben werden. Ohne Vortäuschung wirklichen Wertes würde so viel Ware nicht an den Mann zu bringen sein. Die Folge ist, dass die Bürger ständig mehr ausgeben als sie sich leisten können – und die öffentlichen Hände ebenso.

In der größten Volkswirtschaft unserer Zeit, den USA, ist es schon so weit, dass der Staat und die Privaten  jeweils mit umgerechnet 15 Billionen Dollar verschuldet sind. Das ist mehr Geld, als alle Realwirtschaft der ganzen Welt überhaupt sinnvoll einsetzen könnte.

(3)Wenn man mal sieht, wie wir uns heute ernähren, müsste man annehmen, dass uns die in der Natur nachwachsenden natürlichen Lebensmittel nicht gut genug sind. Wer weicht noch am Vortag die Erbsen ein, wenn er am nächsten Tag eine Erbsensuppe kochen will? Wer  etwa legt Sauerkraut oder Rollmöpse ein? Wo gibt es das noch, dass in der häuslichen Küche Kartoffeln für die Klöße gerieben werden? Tütensuppen, Fertiggerichte und mit Vitaminen und Mineralien „aufgepeppte“ Lebensmittel prägen das Bild der öffentlichen Angebote. Noch gibt es unverarbeitet Obst und Gemüse zu kaufen –aber wie lange noch? Die vielen Millionen Nutzgärten, die es seit der Erfindung des Schrebergartens gab, sind zu Ziergärten umfunktioniert worden.

Der Abstand von der Aufzucht der Lebensmittel bis zum häuslichen Esstisch ist so groß geworden, dass englische Kinder auf Fragen, woher die Pommes Frites kommen, rätseln, ob sie wohl auf Bäumen wachsen.

Natürlich ist es bequemer, sich alle Nahrung mundgerecht servieren zu lassen. Möglich ist das nur unter Hinnahme der nachteiligen Wirkungen von immer mehr Pflanzenschutzmitteln und Konservierungsstoffen. Vorrang hat für uns aber die Flucht vor den naturgegebenen Realitäten gesunder Ernährung.

Unsere Realitätsflucht bei der Ernährung hat allerdings sehr viel ältere Wurzeln als die industrielle Revolution. Die Kontrolle des Feuers brachte uns dahin, fast nur noch hitzebehandelte Nahrung zu verzehren. Dabei bleiben wir auch heute noch, obwohl wir wissen, dass dadurch unsere Fähigkeit zur Verstoffwechslung unserer Nahrung maßgeblich eingeschränkt wird, weil wir die unverzichtbaren Nahrungsenzyme auf diese Weise einfach zerstören.

(4)Lange Zeit wurde bei jedem Bauvorhaben feuerfestes Asbest verwendet, bis bekannt wurde, dass es schwerste Körperschäden verursachte. Baustoffe und Werkstoffe aus der Natur werden nach und nach immer mehr ersetzt durch künstliche Stoffe. Hier und da scheiden als giftig erkannte Substanzen aus.  Dass all die Kunststoffe, die uns zuhause und überall in unserer Umwelt umgeben, riskante Stoffe ausgasen und dass unsere Körper durch Feinstäube und Abriebe mit Nanopartikeln durchsetzt werden, die unseren biologischen Systemen fremd sind, schert uns wenig.

(5)Das hässlichste Kapitel der Realitätsferne hat die Kriegsführung aufgeschlagen. Ich meine damit nicht die von den USA im Irak und in Afghanistan gern praktizierte Kriegsführung durch private Unternehmen. Da schlagen die Profis noch höchstpersönlich und ohne alle Gnade zu. Ich meine die gezielte Tötung von Menschen durch den ferngelenkten Einsatz von Drohnen, den alle Parteien in den USA für den letzten Notanker halten, ihrem Land die Funktion als des übermächtigen Weltpolizisten zu erhalten. Das wird allerdings nicht möglich sein, weil nach und nach alle Länder und auch staatsfremde Bewegungen solche Waffen einsetzen werden. Geostationäre Satellitensysteme machen es möglich, die wirkliche Welt des „Feindes“ wie eine Spielzeugwelt auf den Bildschirm zu holen und gezielt zu zerlegen.

Diese Perversion ist mit Sicherheit nicht aufzuhalten, ihre politischen und gesellschaftlichen Folgen sind unübersehbar.

Die Liste der Phänomene, die in der heutigen Welt die Flucht aus der Realität dokumentieren, lässt sich weit verlängern, etwa über den unmäßigen Medikamentengebrauch bei Krankheiten, deren Entstehung nicht einmal bekannt ist und natürlich beim fast allgemeinen Gebrauch sozial akzeptierter Drogen wie Alkohol und (noch) Nikotin. Bezeichnend ist auch das immer weiter um sich greifende Angebot an Gewinnspielen wie Lotto, Toto und privater Wetten. Auch das Fernsehen ist zum Werkzeug der Realitätsflucht geworden. Millionen Menschen verbringen mehr Zeit mit seinen bunten Bildern als mit ihrem wirklichen Leben. Ihre Freunde heißen Thomas (Gottschalk), Günter (Jauch), Hape (Kerkeling) und Stefan(Raab). Persönliche Freunde treten immer mehr zurück. Als Medien der Realitätsferne zu nennen sind auch das  Handy und die angeblich „sozialen“ Netzwerke im Internet.  Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass es immer mehr Paare gibt, die beim gemeinsamen Spaziergang kaum ein Wort miteinander wechseln, sondern sich – jeder für sich –ganz auf ihre nicht enden wollenden Gespräche über ihre Handys konzentrieren?

Fazit: Sucht und Realitätsferne, die schon immer eine Bedrohung für die Menschen sind, sind das besondere Signum unserer Zeit. Ich wünschte mir einen Weg zurück zu mehr Realität, die doch viel spannender ist als alle Versprechen irrealer Welten.

 

 

2 Kommentare zu “Sucht – schwere Bedrohung für Jeden”

  1. Richtig Essen » Blog Archiv » Alkoholabhängige brauchen Verständnis und Führung sagt:

    […] http://www.essenspausen.com/sucht-schwere-bedrohung-fuer-jeden/. […]

  2. Richtig Essen » Blog Archiv » Nichtraucher werden: Hypnotherapie und Jan Becker sagt:

    […] Die Unsitte des Rauchens wird wie in Fachkreisen und der Allgemeinheit weit vorherrschend als eine krankhafte Nikotinsucht bezeichnet. Nach meiner Lektüre des Buches  von Jan Becker, „Nichtraucher in 120 Minuten“, Piper, Januar 2016, 9,99 €, neige ich dazu, das in  wichtigen Fragen anders zu sehen, anders auch als in einigen  meiner früheren Beiträge wie z.B. in http://www.essenspausen.com/sucht-schwere-bedrohung-fuer-jeden/. […]