Richtig Essen

GfE- Gesellschaft für richtiges Essen und Lebensgestaltung e.V.

Tryptophan – Irrtum und Abzocke

Erstellt von r.ehlers am Montag 3. September 2012

Sachbezug: Serotoninaufbau

Es gibt besondere Gründe, auf dieser Plattform über Tryptophan zu informieren, auf die ich gleich zu sprechen komme.

Tryptophan-5 HTP- Serotonin. en.wikipedia.de-

Ich möchte Sie aber einladen, im Zweifel vorab einmal in meinen Beitrag „Der Mut zum eigenen Urteil in Gesundheitsfragen“ unter der Kategorie „Erkenntnisfragen“ zu schauen. Es gibt nämlich keinen Grund anzunehmen, dass man als Normalbürger nicht in der Lage wäre zu erkennen, wie man in Gesundheitsfragen immer wieder „hinter die Fichte geführt“ wird. Man kann sogar als Laie erkennen, wo man nur mit fragwürdigen Wirkversprechen verlockt wird, ein Gesundheitsmittel zu kaufen und wo dies mit krimineller Energie vorangetrieben wird.

L-Tryptophan spielt im System der Essenspausen eine bedeutende Rolle. Diese vom Körper selbst nicht aufbaubare, daher mit der Nahrung aufznehmende, also essenzielle,  Aminosäure ist der Hauptbaustein des Esskontrollhormons Serotonin, über das wir unbedingt verfügen sollten, um ungestört von Hungerattacken die Essenspausen einhalten zu können, ohne die wir niemals in die natürliche Fettverbrennung kommen.

Die Werbung mit der Aussage, dass L-Tryptophan die Vorstufe für Serotonin ist, ist unbestreitbar richtig. Hier kommt es allein auf den Serotonin als Gehirnbotenstoff an. Schon seit Beginn der 1980er Jahre ist bekannt, dass – unter Verwendung  etwa eines Dutzends von Nebenstoffen – sich im Stammhirn aus Tryptophan das  Zwischenprodukt  5 H T P bildet, daraus dann das wichtige Serotonin und danach wieder das ebenfalls unverzichtbare Schlafhormon Melatonin.  Dieses Wissen reichte zur allgemeinen Annahme, dass die Aufnahme von mehr Tryptophan zur Verbesserung des Schlafs führen sollte. Also schluckte alle Welt, ausgehend von den USA, millionenfach täglich hohe Dosen an Tryptophan. Es gab einige Rückmeldungen über tatsächliche Verbesserungen des Schlafs, wie ich und viele andere in der Probeanwendung feststellten, tat sich dadurch aber rein gar nichts. Ich habe Grund anzunehmen, dass die positiven Berichte auf Placebowirkungen beruhen. Man rechnete schon damals damit, dass Tryptophan auch ein perfektes Heilmittel gegen andere mit der Unterversorgung mit Serotonin zusammenhängende Störungen wie insbesondere mangelndes Wohlbefinden,  Depressionen und fehlende Esskontrolle sein sollte. Jedenfalls war der Verkauf der Aminosäure Tryptophan bis  ins frühe 1990 hinein ein Riesengeschäft. Dann gab es Probleme mit einer mit genveränderten Bakterien verseuchten Charge eines japanischen Lieferanten, weswegen Tryptophan für Jahre vom Markt genommen wurde.  Seit 2001 ist es in den USA wieder zu kaufen, in Deutschland kann man es längst wieder rezeptfrei erwerben. Die Werbung für Tryptophan überschlägt sich heute wieder, wenn es auch in Deutschland nur beworben werden darf  als mildes Schlaf- und Beruhigungsmittel und nicht als Stimmungsaufheller oder  gar Mittel gegen Depressionen.

Ich will mich nicht lange aufhalten mit den kriminellen Machenschaften von Internetanbietern, die sich an die gesetzlichen Vorgaben nicht halten und massiv dafür werben, dass man mit Tryptophan sein Wohlbefinden verbessern, Depressionen heilen und Gewicht verlieren könnte. Einer der aktivsten von diesen Werbern nimmt sinnigerweise die Bestellungen aus Deutschland über eine Telefonzentrale in der Türkei entgegen. 120 Tabletten kosten dort 34,00 €. Offenbar wissen unsere Verbraucherschutzbehörden nicht, wie man solche verbotene Werbung unterbindet.

L-Tryptophan hat, wie gesagt, als angeblich wirksames mildes Schlafmittel, wieder eine Arzneimittelzulassung und  ist sogar apothekenfrei käuflich –  obwohl es ohne jede Frage nicht die angesprochenen Wirkungen hat oder auch nur haben kann! Dazu kommt, dass jede halbwegs vernünftige Ernährung weit mehr an Tryptophan mitbringt als wir täglich benötigen. Besonders Fleisch und Nüssen enthalten besonders viel davon, aber auch die Samen von Getreide und getreideähnlichen Pflanzen wie Amaranth und  Quinoa. Es liegt gar nicht an einer Unterversorgung mit Tryptophan, dass bei vielen Menschen zentralnervös immer wieder zu wenig Serotonin und Melatonin gebildet wird!

In meinem Buch „Wohlfühlhormon Serotonin. Botenstoff des Glücks. Der körpereigene Aufbau durch native Kost“, Via Nova 2012, hab ich es eingehend dargelegt, will es hier aber in aller Kürze wiedergeben (Aminas Prinzip). Zwei Dinge müssen zusammenkommen, damit  das Gehirn sich das benötigte Serotonin selbst aufbaut:

  1. Zum Einen muss sich der Bedarf nach der Verfügung über Serotonin sensorisch vernehmbar machen. Das geschieht bei seiner Lockung durch den Verzehr enzymreicher fein gemahlener nativer Kost auf leeren Magen durch das sehr starke Verstoffwechslungssignal aus dem Dünndarm  (Chemosensoren).
  2. Zum Anderen muss der Hauptbaustein L-Tryptophan, der naturgegeben im Gehirn immer sehr knapp ist, von außen durch die Blut-Hirn-Schranke Einlass in die Nährlösung des Gehirns finden.  Direkt kann Tryptophan ebenso wenig ins Gehirn einsickern wie etwa die auch viel zu großen Moleküle von Serotonin und Melatonin. Durch seine leichte Anbindung an den Eiweißstoff Albumin ist Tryptophan aber vom Molekül her so sperrig, dass es in Gegenwart anderer Aminosäuren, die dieselben Transportwege  (carrier) durch die Blut-Hirn-Schranke  ins Gehirn nutzen müssen, keinen Weg ins Gehirn findet (Konkurrenz).

Der Verzehr nativer Kost auf leeren Magen erfüllt beide Voraussetzungen. Daraufhin kann auch das sperrige Tryptophan zum Serotoninaufbau ins Gehirn gelangen, weil der Blutstrom ja von allen etwa konkurrierenden Aminosäuren frei ist. Die Anbieter von reinem Tryptophan gehen dagegen nach dem Motto vor: „Viel hilft viel.“ Wenn ein Funktionsstoff wie Serotonin knapp ist und man weiß, dass es einen bestimmten wichtigen Baustein hat, wird einfach unterstellt, dass man nur viel davon aufnehmen muss um auch viel vom Funktionsstoff zu erhalten. Geht es noch primitiver?

Manchmal braucht man ein Bild, um Dinge richtig zu sehen. Nehmen Sie einmal folgende Situation: Ein Bauunternehmer will eine Betondecke erstellen. Die Bewehrung durch Betonstahl ist bereits zurechtgebogen. Jetzt muss nur noch der Flüssigbeton, bestehend hauptsächlich aus Zement, Gesteinskörnung und Anmachwasser in die Form gegossen werden. Wie das Tryptophan beim zentralnervösen Aufbau von Serotonin ins Gehirn eindringen muss, ist es hier die Betonmischung, die in den von der Verschalung gebildeten Raum gelangen muss, der nach Aushärtung zur Betondecke wird,  Aber da stellt sich das Problem, dass dort,wo der Beton wie durch ein Sieb durch das von der Bewehrung gebidete Raster in den Hohlraum eingelassen werden muss, bereits ein anderes Bauteam eine ganz andere Mischung einlaufen lässt. Was wohl wird ein kluger Polier tun? Wird er blind Unmengen von Beton hochpumpen und obendrauf über den Ort des Geschehens laufen lassen – oder wird er dafür sorgen, dass das konkurrierende Bauteam erst einmal verschwindet?

Lebensmittelrechtlich gesehen sind die Hersteller nativer Kost nicht berechtigt, definitiv zu behaupten, dass der Verzehr ihrer Nahrung zum zerebralen Serotoninaufbau mit einer Verstärkung  serotonerger Wirkungen  führe. Es darf allenfalls auf die möglichen Wirkungen im Sinne einer wissenschaftlichen Hypothese hingewiesen werden. Teilweise sind Hersteller aber dazu übergegangen zu behaupten, dass allein die Verbesserung der oralen Aufnahme von Tryptophan ausreiche, die Serotoninwirkungen zu steigern. Aber genau das ist derselbe fundamentale Irrtum, der schon bei der Ausgabe von Tryptophan als angeblich wirksames Arzneimittel Platz gegriffen hat. Ob da von den Lebensmittelherstellern nicht nur so getan wird, als wüssten sie es nicht besser?

Glauben Sie nun nicht, dies sei ein kleines Problem. Da der Weg der Verbesserung der Verfügung über den Serotonin als Schlüsselhormon und Glücksbotenstoff  einmal bekannt ist, ist es eine Schande, dass er nicht unmittelbar der großen Zahl der Menschen bekannt gemacht werden darf,  die durch den Mangel an Serotonin schwere psychische und körperliche Störungen mitbekommen haben. Ob und wie durch die Verbesserung der Versorgung einmal bestehende Schäden behoben werden können, wird von den Therapeuten ermittelt werden, wenn sie nur selbst einmal wissen, worum es geht. Bis dahin wird weiter mit Psychopharmaka (SSRI- Serotoninwiederaufnahmehemmer u.a.) an den Symptomen der Störungen herumgedoktert werden. Man kann ja heute kaum beim  Facharzt  für Allgemeinmedizin über schlechte Stimmung reden, ohne solche Stimmungsaufheller verschrieben zu bekommen. Das natürlich ist für sich genommen eins der größten Geschäfte der Pharmabranche weltweit. Ergänzend dazu werden wie aufgezeigt mit der simplen Tryptophanwerbung  täglich Millionen Hilfesuchender mit falschen und teils sogar verbotenen Heilsversprechen zur Ader gelassen oder gar „abgezogen.“