Richtig Essen

GfE- Gesellschaft für richtiges Essen und Lebensgestaltung e.V.

Der unverstandene Hunger

Erstellt von r.ehlers am Mittwoch 2. November 2016

Bild: intensivedietarymanagement.com

Bevor ich am Beispiel Wikipedias aufzeige, wie schlecht uns oft n der Öffentlichkeit eine so einfache wie wichtige Sache wie der Hunger erklärt wird, will ich ganz knapp den heute gesicherten Stand der Wissenschaften zu diesem Thema nennen:

Danach ist der Hunger ein mentales Phänomen,

g e k e n n z e i c h n e t

  • durch die Reizung körperlicher Sensoren im Verdauungstrakt (Magen, Dünndarm), alternativ die Reizung von Geruchs- und Geschmackssensoren, wieder alternativ durch den Aufruf innerer Bilder aus dem Gedächtnis mit positivem Bezug zum Essen,
  • durch die zentralnervöse Reiz- oder Bildweiterleitung an das Esskontrollzentrum im Mittelhirn (Hypothalamus) und das benachbarte Belohnungszentum (Nucleus accumbens),
  • durch das dortige Zusammenspiel einander widerstreitender Hormone und Botenstoffe (Ghrelin, Leptin, Serotonin)
  • und durch das daraus resultierende Auftreten eines Drangs zum Essen

Auf ein Ziel gerichtet wie der Hunger ist auch der ihm in der Entstehung ähnliche Appetit. Dieser drängt uns zur Aufnahme besonderer, bevorzugter Nahrung, während der Hunger je mehr er wächst immer weniger wählerisch wird.

Gegenspieler von Hunger und Appetit ist das Gefühl der Sattheit, die über Informationen aus dem Dünndarm heraus über das Hormon bzw. den Botenstoff Cholezystokinin zentralnervös gesteuert wird.

Vergleichen Sie damit einmal, was das „Wikipedia des 19. Jahrhunderts“, die wirklich superkluge „Allgemeine deutsche Real-Enzyklopädie für die gebildeten Stände“, das „Conversations –Lexikon“ F.A. Brockhaus in seiner neunten Auflage 1845 zum Stichwort „Hunger“ schreibt:

Hunger (fames) ist das Gefühl des Bedürfnisses der Nahrung, welches man im gesunden Zustand dann hat, wenn die zuletzt genossene Nahrung aufhört, reizend auf die Verdauungsorgane zu wirken…“

Wenn die Definition nach dem geringen damaligen Wissen über die Funktionen des Gehirns und dem fehlenden Wissen über die Funktion und Macht der Hormone auch nicht sehr weit in die Details reichen konnte, ist die Definition bei Brockhaus doch erstaunlich treffend – jedenfalls im Vergleich zu dem, was das weitschweifige Wikipedia uns heute im Internet unter dem Stichwort Hunger anbietet.

Wikipedia erklärt den Hunger einfach durch sich selbst: „Hunger bezeichnet eine alltägliche Empfindung, die sich durch Verlangen nach Nahrung auszeichnet“. Genauso könnte man sagen, dass der Drang zu essen der Drang zu essen sei.

Ohne wirklich zu sagen, was den Hunger kennzeichnet, springt Wikipedia  über auf die Regulation von Hunger, die sie gleich zusammen mit der Sättigung vermengt – alles „ein sehr komplexer Prozess, an dem zahlreiche Faktoren beteiligt sind, von denen nach wie vor nicht alle erforscht sind“, was vor allem auf die Hormone zuträfe. Statt über den bekannten Stand des Wissens zu berichten, wartet Wikipedia mit überholten alten Erklärungen auf:

„Die Menge des Mageninhalts ist für die Entstehung des Hungerreizes nicht ausschlaggebend, obwohl die Kontraktionen der Magenwände zunehmen, je leerer der Magen ist. Diese Kontraktionen verursachen das Magenknurren, das als akustisches Hungersignal verstanden wird.“

Das ist alles schrecklich falsch: Der leere Magen faltet sich zusammen und kontrahiert nicht. Das aus dem Bauch kommende Knurren kommt nicht aus dem Magen, sondern aus dem Dünndarm.

In der Folge beschreibt Wikipedia sehr richtig den Einfluss von  Insulin und Leptin auf die zentralnervöse Esskontrolle. Die zentrale  Bedeutung und Wirkung des Hungerhormons Ghrelin wird dagegen nur am Rande erwähnt, ebenso wie die des obersten Esskontrollhormons Serotonin.

Wikipedia berichtet, dass sich angeblich Hunger künstlich durch die Erhöhung des Serotoninspiegels vorübergehend „ausschalten“ oder zumindest dämpfen lasse (Wirkung einiger sogenannter Appetitzügler). Offenbar wird – ohne es zu nennen – auf den gefährlichen, heute verbotenen, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Sibutramin abgestellt. Wie überhaupt der Serotoninlevel selbst angehoben werden kann, ist für Wikipedia kein Thema. Dass der Aufruf von Ghrelin in einer großen Essenspause tagsüber vonnöten ist, damit es in der Nacht zur Zellreparatur im ganzen Körper durch das dadurch gelockte Reparaturhormon Somatotropin kommen kann, wird nicht mit einem Satz erwähnt, obwohl es die wohl wichtigste neue wissenschaftliche Erkenntnis seit vielen Jahrzehnten ist.

Weitgehend auf dem Stand des Wissens sind die Ausführungen bei Wikipedia zum Heißhunger (binge eating), der sich oft auf bestimmte Nahrung kapriziert). Für die dortige Behauptung, dass Sättigungsgefühle von einer verstärkten Ausschüttung des Wohlfühlhormons Serotonin begleitet würden, gibt es aber weit und breit nicht den geringsten Anhalt.

Recht phantasievoll sind auch die Annahmen, dass der Körper auf den Stress durch längeres Hungern mit der Produktion von Serotonin, bei bewusstem Fasten aber mit derer von Endorphinen reagiere. Stress verbraucht aber Serotonin, und nur unter ganz besonderen Umständen kommt es zur Neuproduktion. Endorphine dagegen können anders als behauptet keine längere Euphorie erzeugen, weil sie sich bereits 20 Minuten nach ihrer Entstehung verflüchtigen.

Aktuell sind dagegen die Ausführungen über den relativen Wert kalorienreduzierter Diäten, auf die ich ein einem späteren Beitrag zu sprechen kommen werde.